Artikel 24.07.2013

Zwei leere Wochenenden: Das Ende von BootBooHook und Omas Teich

Morgen um diese Zeit würde normalerweise bei vielen Musikmenschen die Tasche gepackt, das Bier gestapelt, das Zelt vom Trocknen aus dem Garten geholt. Normal ist aber gar nichts, weil das Ziel weg ist. Omas Teich ist tot, und es ist in diesem Jahr schon das zweite prominente Festivalopfer.

Denn im Mai wurde bereits verkündet, dass Hannovers Festivalaushängeschild, das von Tapete Records veranstaltete BootBooHook, ebenfalls Geschichte ist. Die Teichler aus Großefehn hatte es ja letztes Jahr schon beinahe erwischt. Die Gründe sind bei beiden ähnlich: Kein Geld, keine Gäste, keine Planungssicherheiten mehr.

Fragt man sich doch: Hä? Wurde nicht vor gar nicht allzu langer Zeit das Erlebnis Festival als die Zukunft und Rettung des darbenden Musikmarktes angepriesen? Die Emotion eines Livekonzertes kannst du nicht brennen, hieß es, und durch die schwindenden Verkaufszahlen der Plattenindustrie wäre es deshalb auch ganz logisch, dass Ticketpreise ansteigen, denn die Gagen der Künstler wären aus Kompensationsgründen ins Unermessliche gestiegen, und man wolle als Besucher doch bestimmt auch etwas geboten bekommen.

"Etwas geboten bekommen" - Das ist eigentlich ein ganz gutes Stichwort. In einer Zeit, in der alles bis zum Erbrechen eventisiert wird, geht es ja im Grunde um nichts anderes mehr. Immer größere Headliner müssen aufgestapelt werden, obwohl es so richtig große Bands eigentlich gar nicht mehr gibt. Zumindest keine, die noch nachkommen. Um die große Stilvielfalt zu gewährleisten, geht ohne Aftershow-DJ und Elektrozelt fast nirgendwo mehr irgendwas. Der Indiepop/-rock ist eine der letzten Kühe, die von der Mainstream-Industrie noch für ihre unsäglichen Formatradios und -fernsehsendungen gemolken werden können. Dass plötzlich Metal und Jazz salonfähig werden, ist nicht zu erwarten, darum haben die dunklen Gestalten und die richtigen Gourmets auch noch ihre Ruhe vor dem Eventpublikum (wobei das sicherlich auch nicht die ganze Wahrheit ist und man das in Wacken verständlicherweise sicher anders sieht). Mit Indie geht das auch deswegen, weil er so nah am Pop steht und weil die Modeindustrie den Musikhörer mit hübschen Stylevorschlägen begleitet. Urban, anders, hip. Parka, Jeans und Bandshirt sind ja schon seit Jahren von den Wiesen der Open Airs weitestgehend verschwunden. Längst ist ein Festivalgelände der Laufsteg für die Generation Hipster.

Stellt sich die Frage: Wer ist denn nun Schuld daran? Ist überhaupt jemand Schuld daran? Und wer ist der Leidtragende? Wir holen mal ein bißchen aus.

Das BootBooHook in Hannover zog im letzten Jahr vom Kulturzentrum Faust im Bürgerpark Hannover-Linden um in den Kronsbergpark auf der Expo-Plaza. Statt einer kleinen Open-Air-Bühne und zwei Clubstages zwischen Bäumen und Hochhäusern gab es nun eine anonyme Riesenwiese mit Ikea im Hintergrund. Die Klasse der Bands war noch die gleiche, doch die Atmosphäre war futsch. Offiziell heißt es, die Anwohner in Linden hätten solchen Gegenwind gegeben, dass ein Festival dort nicht mehr tragbar gewesen wäre. Kurioserweise war dann aber das neue Gelände auch gleich doppelt so groß, was bei vielen Fans und Besuchern für den Verdacht sorgte, die Veranstalter hätten sich keinem Druck gebeugt, sondern aus purer Geldgier und Größenwahn alles auf riesig geschaltet.

In Großefehn hat man 2010 zum dritten Mal das Gelände gewechselt, offiziell wegen dem schlechten Boden, der 2009 eine riesengroße Matschlandschaft gewesen war (und nicht zum ersten Mal), und wegen Eigenbedarf des Besitzers. Doch auch hier war das neue Terrain plötzlich viel größer, genau wie die Bands. Da standen plötzlich die gleichen Food-Ketten wie bei den Festivalmogulen, und die Ticketpreise stiegen bis mittlerweile 70 Euro - ohne Camping. Dafür zahlte man extra. Die Dorfjugenden von Großefehn und Umgebung, die sich vor acht Jahren noch ihre 27 Euro fürs Festivalticket vom Taschengeld absparen konnten, sich von Mama und Papa nach Ulbargen fahren ließen, die meiste Zeit auf dem Campingplatz zubrachten und sich dann abends The Robocop Kraus oder Blackmail als Headliner anschauten, weil's halt die letzte Band war, fielen jetzt als zahlungskräftige Kundschaft aus. Wer jetzt 70 Euro zahlt, bekommt Fettes Brot und hätte dieses Jahr die Bloodhound Gang bekommen. Und nicht einmal auf den Campingplatz gedurft.

Ein Festival ist mittlerweile ein Event, bei dem jeder mit darf, der Lust und Kapazität hat, für den großen Overkill Geld zu bezahlen. Grenzen gibt es nicht mehr zwischen musikalischen Genres, wohl aber zwischen den Geldbeuteln der möglichen Besucher. Der Dauerstudent, der sich von der Musik durch sein Leben leiten lässt (auch wenn das kitschig ist), kann vielleicht nicht so viel Geld für The Thermals und Efterklang bezahlen wie der Bankangestellte mit festem Einkommen für MC Fitti und Jennifer Rostock, die ihn mal aus seinem grauen Berufsalltag rausholen. So lange es aber Kunden gibt, die zahlen, braucht es den Veranstalter ja nicht zu stören, wer da vor seiner Bühne steht, so lange er keine faschistischen Parolen grölt.

Der Konkurrenzdruck ist enorm in der Szene. Der Markt ist rappelvoll; wer oben mitspielen will, muss etwas besonderes haben, noch mehr Bühnen, noch mehr Stilrichtungen, noch mehr Zerstreuungsmöglichkeiten für die Besucher vor, nach und während den Bands. Höher, schneller, weiter; sky ain't the limit.

Nun sind Wachstum und Weiterentwicklung ja für sich nichts schlimmes, nein, sie sind sogar völlig legitim und wirtschaftlich nachvollziehbar. Man wünscht sich oft eigennützig, kleine Entdeckungen mögen doch bitte so klein bleiben, doch auch hinter denen stecken irgendwann Menschen, die Geld verdienen müssen. War so, ist so, bleibt so. Doch erstens muss man dabei eben auf sein Profil achten, denn der Gast kauft schon auch die Atmosphäre mit (was man beispielsweise in Haldern, Beverungen, Neustrelitz oder Wilhelmsburg sieht). Und zweitens folgt auch der Festivalmarkt einem ganz einfachen Gesetz: Nur, weil es jetzt an jedem Melkschemel Festivals gibt, haben die Leute noch lange nicht genug Geld, die auch alle zu bezahlen.

Und der Gast ist ja nicht blöd. Wenn das BootBooHook auf ein Gelände umzieht, auf dem es ihm nicht mehr gefällt, dann fährt er eben zum Dockville nach Hamburg. Wenn Omas Teich nicht mehr bezahlbar ist, dann stellt man sich eben nicht vor die "Back-to-the-roots-Stage", sondern sucht sich einen Acker und geht mit Freunden, Ghettoblaster und Bier wirklich back to the roots. Und zahlt dafür einen winzigen Bruchteil des Eintrittspreises, für Pils und Grillkram. Wer Deichkind, die Editors oder Maximo Park sehen will, fährt eh zum Hurricane. Oder zu Rock am Ring. Oder zu sonst einem der großen, die durch Sponsoring und mittlerweile heftige TV-Ausstrahlungen auf der sicheren Seite stehen, auch jährlich ihre Ticketpreise hochschrauben und trotzdem immer früher restlos ausverkauft sind.

Das ist übrigens auch ein wichtiger, vielleicht sogar der ganz entscheidende Punkt in dieser Diskussion. Wenn überall in der Republik Festivals wie Pilze aus dem Boden schießen; wenn jeder der Sache noch so ferne Konzern Tickets verlost und die Leute mit Promotion und Sponsoring überhäuft; wenn mittlerweile vier verschiedene TV-Sender das ganze Wochenende über vom Hurricane, Southside oder den großen Lieberberg-Zwillingen berichten; wenn Konkurrenzkampf so aussieht, dass man überall die gleichen Bands aufbaut (Fitti, Abby oder Razz spielen dieses Jahr gefühlt an jedem Melkeimer), dann ist der potentielle Besucher - richtig: Übersättigt. Und dann flieht er. Dann macht er das nicht mehr mit.

Beziehungsweise: Das Event-Publikum macht es nicht mehr mit. Die suchen sich dann was anderes zum Abkulten und geben ihr Geld für andere Dinge aus. Die Leute, die wegen der Musik zu den Festivals gefahren sind, weil sie eben einen anderen Geschmack hatten als die Leute, die nicht zu Festivals fuhren, es aber jetzt doch taten, weil halt Fitti und Jennifer Rostock und Cro überall waren - die können sich das Festivalfahren schon lange nicht mehr leisten, weil es ihnen zu teuer geworden ist. Oder sie haben neue, kleine Nischen entdeckt und genießen gute Musik ohne großes Tamtam woanders, bei anderen Open Airs oder, ganz ursprünglich, im Club. Und die paar Unbeirrbaren, die doch auch beim großen Zirkus mitmachen, retten ein so großes Event, wie es Omas Teich mittlerweile geworden ist, mit ihren paar Eintrittskarten auch nicht mehr.

Dass es auch anders geht, zeigt zum Beispiel das Appletree Garden in Diepholz mit der wundervollen Stimmung unter illuminierten Bäumen und dem wirklich schönen, zuweilen sehr hippen Musikprogramm. Das Dockville in Hamburg hat sich durch sein Kunst-Konzept schon lange einen Sonderstatus erspielt, der mit Kunstcamp, Kinderbetreuung und vielen Veranstaltungen drum herum den Hamburgern den ganzen Sommer über Freude machen kann. Das Orange Blossom Special in Beverungen kostet nur fünf Euro weniger als Omas Teich, doch die Leute zahlen gerne, weil sie wissen, mit wie viel Herz ihnen hier die Musik ausgewählt und vorgesetzt wird. Maifeld Derby, Burning Eagle - man könnte vermutlich noch lange so weiter machen. Gemeinsam haben alle, dass sie sich ein Profil geschaffen haben. Eines, auf das eben nicht jeder passt, was aber ja auch gar nicht schlimm ist. Wer kommt, ist nicht einer von vielen und weiß das zu schätzen.

Im Endeffekt ist das aber alles nur traurig. Denn das BootBooHook war zu seiner Linden-Zeit nicht nur musikalisch, sondern auch atmosphärisch ein absolutes Highlight. Einen dieser köstlichen Hot Dogs essen, und dabei eröffnet eine Big Band das Festival - unvergleichlich. Omas Teich war auch für Ostfriesland einfach wichtig, für die Region, die es so schwer hat, der Jugend etwas zu bieten, was sie vor Ort hält. Das Profil der Teichler war früher so klasse: Die Windräder im Hintergrund, die Teichgames, der Selfmade-Charakter einer besseren Abi-Party. In Großefehn war aber auch trotzdem bis zum Schluss spürbar, wie sehr sich die Macher bemühten, neben all dem Großen etwas wirklich Besonderes anzubieten.

Uns fehlen damit im Sommer zwei ganz fest eingeplante Adressen. Und sie werden uns auch in Zukunft fehlen. 2014 gibt es definitiv kein BootBooHook; die Teich-Macher sehen eine Zukunft für Omas Festival in den Sternen. Aber vielleicht ist es auch ganz gut so. Vielleicht hätte das BootBooHook schon vor dem Umzug in den Kronsbergpark die Segel streichen sollen. Dann wäre der Vorwurf des Größenwahns nie entstanden und die Nachbarn hätten ihr Fett weg bekommen. Vielleicht musste Omas Teich auf diese schmerzhafte Art merken, dass Ostfriesland eben nicht Scheeßel ist. Dann wären vielleicht dieses Jahr Captain Planet der Headliner gewesen und nicht der Vorabend-Slot auf der dritten Bühne, und die Dorfjugend hätte immer noch ihr eigenes Open Air.

Vielleicht muss man den Rückschritt planen. Sich konsolidieren und mit dem alten Publikum versöhnen, es zurück holen, sich auf das Wesentliche besinnen. Und das sind doch letzten Endes ein paar Bands und Musiker unter freiem Himmel, ein Wochenende mit Freunden, Kaltgetränke, was zum Essen. Dafür lieben wir Festivals.

Darum lieben wir es, über sie zu schreiben.

 

Text und Fotos: Kristof Beuthner