Fundgrube 27.06.2013

Wie sieht's in der Szene aus? Die King Kong Kicks geben Antworten.

Der Juni ist immer die Zeit im Jahr, in der die ausgezeichnete Clubreihe King Kong Kicks einen neuen Qualitätsmaßstab für Indie- und Elektropop setzt, und zwar mit ihrem eigenen Sampler, der in diesem Jahr in die fünfte Runde geht.

Dabei ist er auch immer eine Zustandsbeschreibung über die Szene, wie sie gerade ist und wodurch sie kürzlich geprägt wurde und gibt eine Ahnung, wie es voraussichtlich mit ihr weitergeht. Und auch, wenn es schmerzt, das einzugestehen: Glaubt man dem neuen Sampler, liegt sie kränklich da und braucht dringend Pflege. Dass da permanent Grenzen eingerissen werden, Genres miteinander kuscheln bis zur Verschmelzung und das eigentlich jeder mittlerweile überall mitmischen darf, dafür gibt es ein ganz böses Wort: Gleichschaltung. In einem Genre, das eigentlich der Jugend dazu dienen sollte, sich abzugrenzen, sich zu unterscheiden und sich dadurch auch ein Stück weit selbst zu finden, kommen Zeiten, in denen die King Kong Kicks sogar dem Mainstream-Publikum Steilvorlagen liefern (von der letzten Ausgabe landeten sowohl Lykke Li mit "I Follow Rivers" als auch "Safe & Sound" der Capital Cities auf Platz 1 der deutschen Verkaufscharts). Da können die fraglos stark arbeitenden Macher auch nichts für, es zeigt nur die Stärke, Hits zutage zu fördern, doch wenn alle mitmachen wollen, verschwinden Nischen und Ecken und Kanten; dann wird glatt geschliffen, damit jeder was davon hat, denn wir sind mittlerweile abseits von Szenemechanismen. Wir sind offen, und unter unserem Hut hat jeder Platz.

Was sich auf Ausgabe 4 schon ganz leicht angedeutet hatte, wird Ernst: Die Nachhut kommt seltsam blutleer daher. "King Kong Kicks, Vol. 5" [Unter Schafen / Al!ve] klingt wie ein Soundtrack zu einem professionell gedrehten Werbeclip für die Events Indieclub und Festival, inklusive Sonnenhüten, riesigen Sonnenbrillen und H & M-Klamotten. Am deutlichsten findet das Ausdruck in Benjamin Dunns "When We Were Young"; inklusive exhaltierter Chöre im Refrain ist das ein Sammelsurium an so ziemlich allen präsenten Trends in einem einzigen Song, und erinnert dabei frappierend an "Young Folks" von The Naked & Famous von vor zwei Jahren. Die ersten paar Stücke gehen dabei noch absolut klar und erreichen auch bekannte Größe; Bastilles "Pompeii" ist einfach ein tolles Stück, Alfred Halls "Safe & Sound" (nicht verwandt mit dem Capital-Cities-Hit) geht mit der prägnantesten Pfeifmelodie seit "Young Folks" steil nach vorne. "Battles" von Hudson Taylor ist als Folkpop-Beitrag auch noch sehr annehmbar, und der Balearen-Beat von den Crystal Fighters hält dank Singles wie "You & I" offensichtlich länger als nur für ein Album, was eine erfreuliche Erkenntnis ist.

Doch dann geht's los: Die Young Professionals unterlegen Lana Del Reys "Video Games" mit Stampfbeat und Synthesizern und machen aus dem dramatischen Popsong knalligen Kirmes-Indie. Ganz schrecklich ist der Rac Remix von Youngblood Hawkes "We Come Runnin'", der klingt, als hätte man die Vocals einfach nur extrahiert und auf ein Trance-Stück gelegt, was wirkt, als liefe beides unbeteiligt aneinander vorbei. Hunter Hunteds "Keep Together" ist purer Plätscherpop; das was Skip The Use mit "Ghost" beisteuern, haben wir dank der King Kong Kicks schon vor zwei Jahren an Pigeon John entdeckt. Spätestens nach dem stampfenden Disco-Stück "Flexin'" der Masters In France ist man übergroovt, es zieht alles jetzt nur noch vorbei. Mal besser wie bei Retro Stefson, mal belanglos wie bei Hey Champ. Wir haben Synthies, wir haben Chöre, wir haben Beats und wir haben Loops, die auch mal fiepsen. Es ist alles sehr ähnlich. Wir hören meist glatte Vocals mit hellem, klaren Klang, aber ohne Wiedererkennungswert. Alternativ wirken sie hallig und verhuscht. Tanzbar ist das alles, da wird die Clubgemeinde definitiv ihre Freude haben. Aber es hakt sich nichts ein, es bleibt nichts hängen. "Ihr seid doch alle verschieden!", ruft Graham Chapman in "Das Leben des Brian" seinen Jüngern zu. "Ja, wir sind alle verschieden!" schallt es wie aus einem Mund zurück. Ein Déjà-Vu. Kennen die Kids eigentlich noch Monty Python?

Was wir viel zu wenig haben, sind Gitarren, sind Stimmen, an denen man sich auch mal festhalten kann; sind Songs, die uns mehr erzählen als "Wir sind jung und schön und eine riesengroße Feiergemeinde, und der Club ist unser Wohnzimmer". "Random Noise" von Hurricane Dean ist nicht nur die angenehme Ausnahme, sondern mit seinem Titel fast schon programmatisch. Früher gaben Bands wie Friska Viljor oder Young Rebel Set bei den King Kong Kicks den Ton an. Ihnen verdanke ich meine Liebe zu Life In Film. Heute sind es schicke, vor allem tanztaugliche, aber gesichtslose Projekte wie Lemaitre, Coastal Cities und Walla. Am stärksten wird das bemerkbar, wenn man Tocotronics "Ich will für dich nüchtern bleiben" hört, das selbst im Egotronic-Remix mit seiner Klasse alles davor und danach gehörig in die Tasche steckt. Überhaupt, deutschsprachige Beiträge: Was Kraftklub auf der letzten Ausgabe begonnen haben, wird von Guaia Guaia hier adäquat fortgesetzt. Und das ist nicht unbedingt positiv gemeint.

Liegt es daran, dass wir mittlerweile eine Zeit erreicht haben, in der keiner mehr über die Musik etwas ausdrücken muss, wie ein Lebensgefühl, das über die Jugend als Enjoyment zwischen Club Mate, Poetry Slam und zdf.kultur hinausgeht, oder einen Ist-Zustand eigener Unentschlossenheit? Und in der jeder sich so weit selbst musikalisch sozialisieren kann, dass er klingen kann, wie er möchte, solange er nur ein Instrument oder einen Computer beherrscht? Ohne einen popkulturellen Exkurs, der hier den Rahmen sprengen würde, werden sich diese Fragen nicht lösen lassen. Vielleicht ist die neue "King Kong Kicks" genau das, was die kluge Jugend von heute haben will. Dann ist es ein clever zusammengestelltes Stück musikalischer Zeitgeist. Vielleicht ist sie einfach auf nichts wütend. Oder vielleicht ist sie es doch, aber tanzt sich den Frust lieber im Club von der Seele, als ihn herauszuschreien.

Man muss aber auch ganz klar zur Ehrenrettung der King Kongs, die ansonsten mit ihrer Clubreihe (und auch mit der Compilation) wirklich tadellose Arbeit leisten, folgendes sagen: Wo wenig ist, kann eben auch nur wenig geholt werden. Das Phänomen zieht sich schon länger wie ein roter Faden durch die alternative Musiklandschaft. Welche gefeierten Newcomer der letzten Jahre sind schon noch gekommen um zu bleiben? Wenn "King Kong Kicks, Vol. 5" eine Bestandsaufnahme der Szene ist, bleibt nur noch eins zu hoffen: Dass sie es ist, die sich so bald wie möglich wieder erholt.

 

Text: Kristof Beuthner