Konzerte können magisch sein. Wer das nicht glaubt, hat es noch nicht erlebt, denn zugegeben, ganz viele sind es auch nicht. Wir haben den Abend des 26.10.2015 mit Fink in Hamburg verbracht. Fink soll sich wie Magie anfühlen können, hatte ich mir sagen lassen.
Fin Greenall gehört zu den Künstlern, die ich in ihrem Wirkungsspektrum immer wahrgenommen, mit denen ich mich aber nie intensiver auseinandergesetzt habe. Dabei ist sein Werdegang eigentlich ziemlich spannend: Über die Raveszene zu R'n'B bis hin zu dem, was wir heute mit der Band Fink verbinden, zu der neben Greenall noch Guy Whittaker und Tim Thornton gehören. Muss man erstmal so machen. Muss man erstmal so nachhaltig beeindrucken, dass sich ein Elektronik- und Rap-Label wie Ninja Tune gerne mit diesem einen Folksänger schmückt.
Wer Fink gesehen hat, vergisst es nicht. Das wenigstens wusste ich, das hatte ich gelesen und gehört, von Freunden die es wussten, von Menschen, die dabei waren. Meine eigenen Eindrücke waren nach den drei letzten Songs in Haldern im vergangenen Jahr viel zu unzureichend, etwa so wie ein Malen-nach-Zahlen-Bild, bei dem nur ein Drittel der Felder mit ungeraden Zahlen ausgefüllt waren. Wie eine kurze Momentaufnahme; nicht einmal wirklich gewusst, welche Songs ich da höre, aus welcher Phase, mit welchem Hintergrund. Ich mochte das, aber es war zu kurz, um einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben zu können. Bitter für die, von der ich neiderfüllte SMS bekam. Ich war dabei, sie nicht, und ich hatte gar nichts draus gemacht und war im Hinblick auf Fink immer noch völlig ahnungslos.
Doch dieses Gefühl gefiel mir eigentlich im Hinblick auf Hamburg ganz gut. Wie oft verkopft man sich Konzerte mit zu großen Erwartungen? Zum einen das, zum anderen: Wenn man so vieles schon gesehen hat, wie selten kommt man noch dazu, wirklich überrascht, im besten Fall vielleicht sogar überwältigt zu werden? Ganz bewusst ohne vertiefte Kenntnisse über Alben, Songs und verschiedene Phasen, einfach mal reinspringen in diesen Kosmos; einfach mal jemanden nachträglich für mich entdecken, der über die Jahre so groß geworden ist, dass er sich von der kleinen Prinzenbar im Hinterhaus vor zehn Jahren bis ins prall gefüllte große Docks hochgespielt hat, wie Fin Greenall uns später nicht ohne Stolz erzählen wird.
Die Vorband, She Drew The Gun, verpassen wir. Lieber in Ruhe ankommen, Getränke holen, einen guten Platz mit perfekter Sicht finden, wo man atmen kann und nicht zu sehr bedrängt wird, denn wie ich schon sagte, das Docks ist voll.
Sofort als Fin Greenall die Bühne betritt, ist seine Präsenz spürbar. Der Raum, all die Leute hier, alles gehört ihm. Wie er da steht in seiner Größe und mit seinem Bart, die Gitarre ziert das Artwork seines aktuellen Albums "Hardbeliever", ist er eine unheimlich sympathisch-freundliche, aber gleichzeitig faszinierend-mystische Erscheinung. Seine Stimme ist groß und tief, innig und beruhigend. Er braucht gar nicht viel sprechen mit seinem Publikum: Es ist vom ersten Moment an klar, dass er ein Geschichtenerzähler ist, aber es sind die Geschichten, die dir immer nur einen Teil preisgeben von dem, was sie wirklich sagen. Greenall hat diese Aura des Geheimnisvollen und des Direkten zugleich. Das bleibt unumwunden, das versteh ich sofort: Allein mit der Musik fremdele ich.
Die erste Hälfte der Show besteht vorwiegend aus bluesorientierten Folksongs, die handwerklich keine Kritik zulassen, mich aber emotional nicht einpacken. Ich ahne etwas von der Bedeutung von dem, was Fin Greenall und seine Band da tun, doch scheint mir der technische Aspekt hier gerade im Vordergrund zu stehen, übrigens auch beim Publikum, auf das ich zwischendurch neugierige Blicke werfe und mich frage, ob es da ist, weil die Band unheimlich tight und pointiert performt, oder weil es sich hier von einem großen Erzähler einladen lassen will, sich einfach mal für anderthalb Stunden zu vergessen. Noch kann ich die leuchtenden Augen nicht deuten, ist mir die Tragweite des Ganzen nicht ganz klar. Nicht, dass ich ohne Bewunderung wäre - allein, es holt mich nicht ab.
Die Stücke kommen für mich zu wenig in die Gänge, wobei ich darüber fast lachen muss, weil es kaum eine musikalische Diskussion gab, die ich mehr geführt hätte, allerdings eher hinsichtlich ausschweifender Postrock-Eskapaden, bei denen ich allerdings immer der Befürworter solcher Strukturen - der lange Aufbau, die gewaltige Explosion - war. Doch hier, unter dem Deckmantel des Blues, treten mir die Stücke zu sehr auf der Stelle, der Titelsong von "Hardbeliever" wirkt in seiner Strahlkraft gar nicht als ein solcher, die Stücke bauen sich zu lange auf, die Explosion gerät zu kurz. Muss es denn immer Explosion sein? Sicher nicht, aber in diesem Rahmen, mit dieser wunderschönen Lichtshow, hätte ich mir ein bisschen mehr Grandezza gewünscht.
Die Lichtshow. Ja: Die ist wirklich über jeden Zweifel erhaben. An fünf Säulen sind jeweils über zwanzig Scheinwerfer angebracht, die in wechselnder Reihenfolge die Bühne mal in schemenhaftes Dämmerlicht hüllen, dann wieder in vollem goldgelben oder kaltweißen Glanz erstrahlen lassen. Je nach Lichteinfall wirken die Lampen zeitweise sogar wie riesige Seifenblasen, ein träumerischer, verspielter Effekt, der erstmal gar nicht so sehr zur Erdigkeit und Direktheit von Finks Musik passt, sich aber trotzdem gut anfühlt.
Und dann passiert etwas großartiges: Das Konzert bekommt einen Wendepunkt, eine neue Ausrichtung, und jetzt fange ich Feuer. Greenall und seine Band bewegen sich weg vom Blues, beginnen mit dem zutiefst hingebungsvoll Balladesken, das in Haldern schon mein Interesse geweckt hat. Die Band zeigt ihre ganze songwriterische Größe und breitet plötzlich Stücke vor uns aus, die die Hände ausstrecken und uns an die Hand nehmen mit der einen und unser Herz umschließen mit der anderen. Da ist so viel Ehrlichkeit und bittere Weis- und Wahrheit, Stücke wie "Too Late" oder das übermächtige "Looking Too Closely" sind in ihrer Intensität kaum zu überbieten, und Fin Greenall singt sie in einer Mischung aus Traurigkeit und Kraft, wie es nur diejenigen tun, die sich damit ewig in uns festzusetzen vermögen.
Ich schaue mich noch einmal vorsichtig um, nicht zu lang, um das Band nicht zu verlieren. Die Menschen um mich herum stehen mit einem Strahlen in den Augen da; ja, deswegen sind sie hier, auch deswegen; sie bewundern diese Band für ihre Finesse und ihre Tightness genauso wie für ihre Strahlkraft, die plötzlich doch da ist mit voller Wucht; es ist ein faszinierendes Facettenspektrum, das ich gerade beginne, zu begreifen.
Dann ist es plötzlich vorbei, der letzte Song im regulären Set ist gespielt, die Band umarmt sich, tritt an den Bühnenrand, winkt, strahlt. Und es geschieht etwas, das ich in zehn Jahren, die ich auf Konzerte gehe, nicht erlebt habe. Während die letzten Töne noch im Kopf nachklingen, erstrahlt die Bühne plötzlich noch heller, noch goldener, noch intensiver mit ihren vielen Scheinwerfern und vor lauter Glück, das die Band empfindet, an diesem Abend genau hier zu sein, und die Menschen setzen an zu einem wahrhaft ohrenbetäubenden Jubel, der wirkt, als rolle eine Welle von ungeheurer Zerstörungskraft durch den Raum, nur dass diese hier gut ist, von unfassbarer Hingabe und Dankbarkeit erzählt und mir fast die Beine unter dem Körper wegzieht. Ich schaue rechts neben mich, sehe ein fassungsloses Kopfschütteln unter dem Applaus, erahne eine Träne im Augenwinkel, so viel unbändige Freude über diesen großartigen Abend und so viel übererfüllte Erwartungen; es ist ein magisches Finish, ein allumfassend überwältigendes furioses emotionales energiegeladenes Erlebnis, und alles wird zu einem die Welt für Sekunden ausblendenden riesengroßen rauschenden Leuchten.
Das obligatorische Encore kommt und geht, es ist schön, es setzt dem Ganzen keine neue Krone auf; dann ist es zu Ende und wir bewegen uns zurück in die Realität, die immer noch so fern wirkt. So funktionieren Konzerte, denke ich, darum ist Musik magisch. Wer Fink gesehen hat, vergisst es nicht. Das hatte ich vorher gehört. Ich habe nicht gewusst, was es bedeutet.
Ich denke, jetzt weiß ich es.
Text: Kristof Beuthner
Foto: Christina Schoh