Artikel 24.05.2016

Von falschen, richtigen und wichtigen Worten: Im Gespräch mit AnnenMayKantereit.

Von zero to hero und wieder zurück: „Haben die jungen Leute das verdient?“, schalt Zeit Online Anfang des Jahres über AnnenMayKantereits ersten Output beim Major Vertigo. Kurios war nur: Wenige Monate vorher galt das Quartett aus Köln noch als bodenständig gebliebene Hoffnung des immer egaler und gleicher gewordenen deutschsprachigen Pop.

Für AnnenMayKantereit begann das Jahr 2016 durch das erste offizielle Album „Alles nix konkretes“ mit einem bandinternen Meilenstein. Aber Christopher Annen, Henning May, Severin Kantereit und Malte Huck mussten auch mit Schmackes erfahren, was es heißt, wenn sie nicht mehr nur noch von Menschen wahrgenommen werden, die die Band zufällig von selbst oder durch gute Freunde kennen und lieben gelernt haben. Mit teilweise vernichtender Presse machten Spiegel Online, die Süddeutsche Zeitung und Konsorten klar: Auf euch gewartet haben wir nicht. Auch, und das war das seltsame, wenn genau das vorher allenthalben einhellig behauptet wurde. Anderen, privaten Kritikern schien überhin die Abkehr vom DIY-Prinzip des bisherigen Bandschaffens zu irritieren. Wer beim Major ist, braucht keine Streicheleinheiten mehr.

Keine Haltung, keine Meinung, keine guten Songs. Statt dessen Reißbrettlyrik, Gefühlsduselei statt Diskurs, sich um sich selbst drehende Eindimensionalität. Obwohl sich weder an den Songs, die man zum größten Teil schon lange vorher kannte, noch an den markanten Merkmalen der Band etwas geändert hatte. Wie geht das? Wieso wurde da plötzlich jemand, der in den letzten zwei Jahren derart zur Hoffnung der deutschsprachigen Popwelt hochstilisiert, ja als eine Art Heilsbringer gefeiert wurde, bei seiner Öffnung an die wirklich breite Öffentlichkeit derartig abgeschmettert?

Teilweise schien es, als würde die Medienlandschaft genüsslich ihren eigenen Zögling zerreißen, wie ein kleiner Junge, der eine Sandburg baut, nur um sich nach Fertigstellung mit einem saftigen Bauchklatscher hineinzuwerfen. Hatte die Band vorher je behauptet, ein politisches oder gesellschaftliches Sprachrohr einer, ihrer, unserer Generation zu sein? Waren sie die selbst- oder die fremdernannten Erben von Ton Steine Scherben? Immer wieder drängte sich der Eindruck auf, dass Journalisten sehr wohl klar war, dass sie gelesen werden, wenn sie über diese Band schreiben. Warum dann nicht mal zeigen, was man schreiberisch draufhat, indem man auf jemanden dreinschlägt, der so viel Erfolg hat, dass er das schon vertragen können wird? In punkto journalistischer Exaktheit oder Fairness konnte man da schon mal ein Auge zukneifen.

Als „Revolverheld-Version von Isolation Berlin“ wurden die Kölner nun bezeichnet, als Langweiler, als lahmarschige selbstmitleidige Schluffis in Fruit Of The Loom-Pullis, deren einziger Lebenstraum es ist, mit der Liebsten in einer Altbauwohnung zu wohnen. Aus auf die nötigsten Instrumente reduziertem, erdigem Folkpop wurde „Uffta-Offbeat-Straßenmusikantenfolk“. Kaum noch ein Wort von der einnehmenden, mitreißenden Präsenz ihrer Musik von den kleinen und großen Bühnen. Von der pointierten Direktheit ihrer Texte. Plötzlich war das Musik von gelangweilten ehemaligen Indie-Kindern für gelangweilte ehemalige Indie-Kinder. Kommt schon. Wer Pop sein will, muss leiden.

Wer wissen will, was das mit der Band macht, muss nachfragen. Das haben wir getan. Wir trafen Christopher, Henning, Severin und Malte in einem eigens dafür hergerichteten Interviewraum in der Großen Freiheit 36 in Hamburg. Vor anderthalb Jahren auf der MS Treue in Bremen hatten wir noch an Deck des Konzertschiffs zusammen gefroren. Es wurde ein intensives Gespräch über die neue Popularität und den Umgang mit dem neuen Gegenwind; die Kunst, das richtige zu sagen; was man als Band überhaupt sagen darf (und sollte) und worauf es eigentlich wirklich ankommt, wenn man seine Musik bekannt machen möchte.

Seit zwei Jahren kennen wir uns jetzt, die Band und ich - dem Charakter eines Gesprächs angemessen habe ich deshalb darauf verzichtet, mich als Fragender zu kennzeichnen. Ich habe mich lieber als Kristof in die Diskussion mit hineingeschrieben.


Kristof: Beginnen wir doch erstmal mit einer Standartfrage - was bedeutet das erste Album auf einem Major für das Bandleben von AnnenMayKantereit? Was sind negative Neuerungen?

Henning: Ich glaube, dass Komfort eine wesentliche Veränderung ist. Jetzt sitzen wir hier zusammen in einem eigenen Raum; als wir uns damals auf der MS Treue in Bremen getroffen haben, haben wir doch alle tierisch gefroren da an Deck. Aber ein wesentlicher Vorteil ist natürlich auch, dass ein Label dir viele Türen öffnet. Zum Beispiel zu vielen Fernsehformaten, zu denen wir gern wollten; ZDF Aspekte oder Inas Nacht. Und es ändert sich die Aufmerksamkeit, die einem zuteil wird. Dass man jetzt zum Beispiel in großen Tageszeitungen Kritik über sich liest, negativ wie positiv. Und, was man von außen meist eher nicht so wahrnimmt: Die Größe der Produktion ist irre gestiegen. Unglaublich, wie viele Menschen jetzt an unseren Konzerten mitwirken, damit wir besseren Sound haben, nicht mehr selbst ein- und ausladen brauchen und statt dessen Interviews geben oder uns sammeln können. Man muss sich aber an die gestiegene Aufmerksamkeit erstmal gewöhnen. Nicht nur für die Band, sondern auch für uns als Personen.

Christopher: Auch Ansprüche an uns als Band und uns als Personen, die plötzlich gestiegen sind. Mit was für Fragen man plötzlich konfrontiert wird, von denen angenommen wird, wir könnten da in irgendeiner Hinsicht kompetent drauf antworten.

Henning: Ich erinnere mich da zum Beispiel an dieses eine Interview, wo es plötzlich hieß: „Die Pest war die große Qual des soundsovielten Jahrhunderts. Was ist die Pest des 21. Jahrhunderts?“

Christopher: „Wofür steht eure Generation?“

Henning: Auch so was. Wie sollen wir das denn beantworten?

Kristof: Wollt ihr solche Fragen denn beantworten?

Henning: Können wir nicht! Wenn ich auf eine Frage keine Antwort habe und auch nicht finde, dass wir die Berechtigung haben, öffentlich über so etwas zu sprechen, lasse ich das doch lieber sein. Ob das nun in politischer oder gesellschaftlicher Hinsicht ist - in erster Linie sind wir halt Musiker. Mich wundert, dass man an einen Musiker immer so schnell einen politischen Anspruch richtet.

Kristof: Gibt’s denn davon abgesehen Fragen, die ihr inzwischen nicht mehr hören könnt? Woher du deine Stimme nimmst oder so?

Henning: Da hab ich mich schon dran gewöhnt. Was für uns manchmal komisch ist, ist dieses „Von der Straßenmusik in die großen Hallen“-Ding, wo wir halt denken: Na ja, zwischendurch ist schon viel passiert. Da gab es schon einen Weg; das kam nicht von jetzt auf gleich. Das wird so leicht unterschlagen dann.

Christopher: Oder wenn immer wieder auf dieses Authentische hinausgewollt wird. Das wird dann so schnell zu einer Marke hochstilisiert: AnnenMayKantereit sind DIE authentischen. Übrigens ist das auch so eine Sache, die sich natürlich mit einem Label im Rücken ändert: Das läuft jetzt halt alles nicht mehr so nach dem Do-It-Yourself-Prinzip wie vorher. Viele finden das blöd und glauben, das passt gar nicht zu uns, wie wir es jetzt machen.

Henning: Das DIY-Prinzip, das wir vertreten haben, beruhte darauf, dass wir einfach alles wenigstens einmal selbst gemacht haben wollten. Und wenn wir selber wissen, wie die Prozesse so funktionieren, können wir sie auch leichteren Herzens Stück für Stück abgeben. Weil wir sie durchblickt haben.

Kristof: Das ist der Tenor, den man in Berichten über euch jetzt immer öfter findet: Die sind auf die dunkle Seite gewechselt. Die haben sich so geil was aufgebaut und alles selbst gemacht, warum lassen die sich jetzt von einem Major-Label einkaufen? Wo bleibt da die Konsequenz gegenüber dem Mechanismus Popgeschäft; warum zeigt man der Maschine nicht, wie wahnsinnig weit man auch ohne sie kommen kann?

Severin: Ich würde aber gar nicht sagen, dass das mit dem DIY jetzt komplett vorbei ist, genau so wenig, wie es jemals der Plan war, alles ewig nur selbst zu machen! Da wird medial einfach vieles verdreht. Wir haben uns mit der Labelsuche viel Zeit gelassen - daraus wurde oft, wir hätten überhaupt nicht die Absicht, je mit einem Label zusammenzuarbeiten, weil es per DIY so gut läuft. Wir sind immer noch in so viele Dinge selbst involviert, trotzdem haben wir jetzt die Chance, noch viel mehr Leute mit unserer Musik zu erreichen. Uns redet niemand rein, was unsere Musik angeht oder Konzerte. Ein Major-Deal ist überhaupt nicht zwingend das Ende von DIY.

Henning: Ich habe auch mit der Attitüde ein Problem, dass man glaubt, was zu ändern, wenn man den Mittelfinger zeigt. Ich glaube schon, dass man es durchaus schafft, was im Denken von Musikern zu bewegen, wenn man als Band zeigt, dass es möglich ist, sich selbst viel aufzubauen - wobei mir wichtig ist, dass wir damit keinen belehren wollten oder keinem ein Modell sein; das haben wir für uns getan weil es uns wichtig war. Aber das jetzt ewig weiter zu führen, nur um zu sagen: Scheiss Labels, wir brauchen euch nicht? Das macht irgendwie keinen Sinn für uns.

Kristof: Eine langfristige Zusammenarbeit mit einem Plattenlabel bringt ja schon durchaus auch Vorteile.

Henning: Klar. Es kann dich natürlich absichern und dir die Möglichkeit bieten, langfristig Musik machen zu können und halt nicht zuletzt auch, dich davon ernähren zu können. Ein Beispiel: Ich habe gestern beim Fußballspielen einen Ball auf den Kehlkopf bekommen. Wären wir DIY unterwegs, würde das schlimmstenfalls bedeuten: Ich kann nicht singen, wir können nicht auftreten, bekommen keine Gage, können unser Essen nicht mehr bezahlen. Ein Label sichert dich da ab, steht hinter dir. Das ist einfach viel wert. Das durchblicken viele von außen aber gar nicht.

Kristof: Ein weiterer Major-Label-Stereotyp ist: Die vermarkten dich zu Tode bis zur Unerträglichkeit.

Henning: Auch darauf haben wir zum Glück Einfluss. Wir wollten zum Beispiel partout keine TV-Spots. Man schlägt einem das natürlich alles vor, aber wir dürfen nein sagen. Worauf du aber glaube ich auch ein bißchen anspielst, ist dieses „Als sie klein waren, habe ich sie noch geliebt; jetzt sind sie überall zu sehen und gehören nicht mehr mir, jetzt mag ich sie nicht mehr“…

Kristof: Es ist ja schon leichter zu sagen, die sind jetzt Top of the Pops, aber ich bin noch der selbe Typ geblieben - das muss ich von denen auch verlangen dürfen. Das ist jetzt nicht mehr real. Dann schieße ich die jetzt in den Wind und schiebe im Internet, wo man ja eh alles sagen darf, noch einen flotten Text hinterher, um denen eins reinzuwürgen.

Christopher: Was auffällt, ist, wenn in Artikeln plötzlich falsche Fakten auftauchen oder Sachen verdreht werden. Wenn merkwürdige Schlüsse gezogen werden aus Aussagen von uns oder wenn es auf einmal persönlich wird.

Henning: Einer meiner Lieblingssätze über uns war: „Von wegen neue Ton Steine Scherben“. Und ich so: Hä? Haben wir behauptet, die neuen Ton Steine Scherben sein zu wollen? Es kommt eben auch immer darauf an, was sich Journalisten wünschen von der Musik; ob es deren Anspruch erfüllt. Das kann man auch nicht verurteilen. Wenn sich gewünscht wird, dass wir eine neue politische Band sind, und dann sind wir es nicht, ist man eben enttäuscht. Wir machen aber auch keinen Fußballsong, nur weil jetzt Europameisterschaft ist.

Kristof: Könnte es auch daran liegen, dass da Anspruchshaltungen auch aus Unbedarftheit bzw. Unwissenheit entstehen? Wenn man euch nie vorher gehört hat, aber immer nur liest, dieser Henning May ist dank seiner Stimme der neue Rio Reiser - muss seine Band dann nicht auch genau den Habitus vorweisen wie Ton Steine Scherben?

Henning: Es ist dank des Internets heute viel leichter, Informationen über die Scheisse zu bekommen, die so in der Welt passiert. Die Generation meiner Eltern hat es da wesentlich schwerer gehabt. Da war es wichtig, dass sich auch Leute wie Rio Reiser politisch positioniert haben, weil sie vielleicht zu den wenigen Aufgeklärteren gehörten. Heute wird das fast selbstverständlich eingefordert, weil es so leicht ist, in ein Thema einzutauchen. Dass auch zum Beispiel bei älteren Leuten, die uns als Band mögen, der Wunsch entsteht, wir würden zum Beispiel ihr politisches Engagement als junge Typen weiterführen, finde ich irgendwo sogar verständlich. Aber wenn ein Journalist eines großen Magazins, der sicherlich gut verdient und mit beiden Beinen im Establishment steht, uns vorwirft, wir würden das Establishment nicht kritisieren, bekommt das auch schnell eine komische Doppelmoral.

Severin: Ich kann mir auch vorstellen, dass es Leute gibt, die sagen: Die kommen natürlich und normal rüber, singen über ihr WG-Leben und andere Alltäglichkeiten. Warum sagen die nichts zur Politik? Das ist doch auch alltäglich und außerdem weitaus relevanter.

Henning: Das ist genau das Problem: Wenn eine Meinung, die du privat vertrittst, immer auf Krampf mit deiner Kunstform einher gehen muss.

Kristof: Ihr kriegt das scheinbar schon sehr genau mit, was in der Presse so passiert. Inwiefern interessiert euch das und inwiefern arbeitet das dann mit euch?

Christopher: Wir haben uns vieles erstmal deswegen durchgelesen, weil uns interessiert hat, auf welche Weise sich so ein Interview durchs Verschriftlichen verändert oder auch nicht. Ich gebe auch zu, dass es ein komisches Gefühl war, zum ersten Mal einen richtigen Verriss über uns zu lesen. Am beeindruckendsten für mich war aber, dass über Zeilen, die wir sagen, auf einmal so viel nachgedacht wird. Dass die ausgelegt und interpretiert und in Zusammenhänge gestellt werden - aber auch aus welchen herausgetrennt.

Malte: Es ist auch einfach sehr stark abhängig von dem Inhalt des Artikels an sich. Wenn ein Artikel gut geschrieben ist, ob positiv oder negativ, dann können wir das annehmen. Sobald das aber in eine Richtung geht, wo man merkt, dass jemand einfach scheisse findet, wie wir als Personen sind oder was wir mit unserer Musik verkörpern, dann kommt es schon vor, dass wir den Tab schließen und uns das auch nicht weiter anschauen. Aber ich denke schon, dass wir echter Kritik gegenüber sehr offen sind. Das ist dann schon auch ein Vorteil vom Internet: Dass Leute sich da einfach trauen, Sachen zu sagen, die sie uns vielleicht persönlich nicht sagen würden.

Henning: Wenn jemand über dich redet - da gibt es glaube ich nur ganz wenige Menschen, die das einfach so wegblenden können. Die das nicht zumindest interessiert. Ich begreife das übrigens auch als Kompliment, auch negative Presse. Dass wir scheinbar so eine Relevanz haben, dass es Leute dazu bewegt, andere Leute davon abbringen wollen, uns zu hören - das ist Aufmerksamkeit, und das ist doch letztlich auch gut für die Band. Aber für uns ist halt die Musik das, wodurch wir primär sprechen wollen. Mit Äußerungen zu uns als Personen, Einstellungen und so sind wir vorsichtig, weil das für uns sekundär ist. Wir haben mal gesagt, wir möchten keine Nestlé-Produkte konsumieren, auch nicht im Catering. Jetzt sind wir Ökos? Mir ist aber auch klar, dass es Spannungen zwischen Presse und auch Fans und uns gibt, wenn wir uns zu solchen Punkten dann nicht weitgehender äußern. Aber wir haben auch nicht wirklich Lust darauf, uns Worte im Mund umdrehen zu lassen.

Kristof: Wie wehrt man sich dagegen - oder wehrt man sich überhaupt dagegen? - wenn Dinge, die eigentlich aus einem selbst heraus entstehen, plötzlich quasi gegen einen verwendet werden? Understatement im Klamottenstil, das Nestlé-Beispiel, keine Smartphones… Wie geht man damit um, wenn etwa Leute, die jetzt erst auf euch stoßen, diese Dinge, die euch als Personen ausmachen, plötzlich als aufgesetztes Branding begreifen? Oder sagt ihr eher: Ey, wenn ich jetzt hier sage, dass ich wirklich so bin, mache ich es nur noch schlimmer?

Severin: Das ist genau das Ding. Wenn du allen erzählst, wie real du bist, dann bist du’s irgendwann nicht mehr, weil du dich nur noch darum kümmerst, deine Realness zu untermauern. Allen zu erzählen: Aber schaut mal, wir geben uns doch so viel Mühe, wir machen doch so viel selbst - das finde ich problematisch.

Henning: Wir wollen uns zum Beispiel auch nicht politisch äußern, nur um uns politisch zu äußern. Das würden wir halt nur tun, wenn wir das Gefühl hätten, es auf eine ausreichend differenzierte Weise zu können. Auch da glaube ich nicht an die Wirkung eines ausgestreckten Mittelfingers, sondern eher daran, sich so einer Sache behutsam zu nähern. Allein schon, um den anderen nicht von vornherein in die Defensive zu drängen, sondern ihn vielleicht zum Nachdenken zu bewegen. Zum Beispiel: „Was sagt ihr als Kölner zu den Geschehnissen in der Silvesternacht? Was hat sich dadurch für euch verändert?“ Klar kann ich dir darüber was erzählen, wenn wir abends bei einem Bier zusammen sitzen. Aber in meiner Funktion als Musiker darüber zu sprechen, ergibt für mich erstmal keinen großen Sinn. Was man auch schnell vergisst: Wir sind vier Leute mit vielen gleichen, oft aber auch unterschiedlichen Ansichten. Da läuft man schnell Gefahr, für die anderen zu sprechen und sich zu verzetteln. Bevor wir nicht alle vier eine fundierte Meinung zu einer Sache haben, können wir die halt nicht öffentlich kommunizieren. Da müssen wir uns erstmal einig sein!

Malte: Wenn du jetzt zum Beispiel schreibst, dass wir alle Nestlé kacke finden, dann ist das okay für uns, weil wir das ja im Konsens so halten. Aber Henning würde jetzt nicht erzählen, dass wir alle Riesenfans vom 1.FC Köln sind, wenn er wüsste, es ist nicht so.

Henning: Auch mit Ironie ist das so. Du sagst etwas ironisch, aber abgedruckt liest es sich plötzlich nicht mehr so. Da liegt das Wort plötzlich auf der Goldwaage.

Kristof: Lässt sich so etwas denn immer so in Gänze antizipieren? Wenn man immer so darüber nachdenkt, was man jetzt sagen darf und was nicht, verliert man doch auch ganz viel Spaß und kriegt Kopfschmerzen.

Christopher: Schon. Bei kürzeren Interviews kommen meistens halt schon ähnliche Fragen, aber bei längeren, wenn sich das Ganze so zu einem Gespräch entwickelt, schaltet man irgendwann den Kopf aus und unterhält sich einfach.

Henning: Wir sind aber auch alles Menschen, die es lieben, Menschen zu begegnen. Da kann man leider leicht in die Falle tappen. Wir treffen einen Journalisten, bei dem wir das Gefühl haben, dass die Chemie stimmt so dass wir ins Plaudern kommen, aber vielleicht beruht das nicht auf Gegenseitigkeit und wir sind insgesamt eher gerade der Job für ihn. Dann waren wir vielleicht zu vertrauensvoll und lesen eine Woche später Aussagen, die aus dem Zusammenhang gerissen sind oder so, für eine gute Schlagzeile.

Kristof: Denkt ihr, dass die Leute euch manchmal gar nicht so sehr eure Musik als Kunstform und euch als Künstler sehen, weil das, was sie von euch auch auf der Bühne erleben, auch thematisch so nahbar ist, dass sie euch nicht zubilligen, ein Band-Ich und ein Privat-Ich zu haben, und einfach enttäuscht sind, wenn sie das Gefühl bekommen: Die sprechen so authentisch über Dinge, die ich erlebt habe - das kann doch aber nicht in WGs und auf Balkons von Altbauwohnungen enden. Oder dieses Generationending: Wenn AnnenMayKantereit die Stimme einer Generation sind, was sagt es dann über diese Generation aus, wenn der Interessenradius beim Abschied vom Mädchen am Bahnhof endet, statt sich damit auseinander zu setzen, dass an Deutschlands Bahnhöfen parallel die Flüchtlingswellen anrollen?

Henning: Es ärgert mich, dass da so viel verallgemeinert wird. Woher kommt dieses Generationending? Da sind vier Typen, die rumlaufen wie Normalos und über alltägliche Themen singen, also sind automatisch alle Leute zwischen 19 und 28 genau so drauf, sehen so aus, benehmen sich so? Wer so was glaubt, der denkt nach Silvester in Köln auch, dass alle Nordafrikaner potentielle Sexualstraftäter sind. Stereotypen sind was gefährliches, das muss man abstellen. Das zieht nur Grenzen hoch. Wir wollen gar nicht die Stimme einer Generation sein, allein schon, weil wir uns wie gesagt gar nicht berechtigt fühlen, Repräsentanten für irgendetwas zu sein. Wenn ich einen Text schreibe, will ich damit in erster Linie mir selbst was sagen und nicht für andere sprechen. Eigentlich erkläre ich auch gar nicht so gerne, worum es wirklich geht in den Texten.

Kristof: Wie funktioniert es für euch, wenn Leute eure Songs in privater Hinsicht für sich selbst auslegen? Die nehmen sich ja dann eure Themen und verwandeln sie in eigene.

Malte: Ich denke manchmal, dass es für die Leute doch auch die persönliche Bedeutung eines Songs kaputt machen muss, wenn sie zu viel darüber wissen, was er bedeutet. Dann können sie nicht mehr interpretieren, und das macht ja den Reiz der Beziehung zwischen Band und Hörer aus.

Henning: Was man daraus macht, bleibt ja jedem selbst überlassen. Das finde ich auch völlig okay so. „Oft gefragt“ ist zum Beispiel für meinen Vater, aber wenn jemand den Song auf seine Mutter bezieht, ist das ja was schönes.

Kristof: Dann ist es auch okay, wenn plötzlich alle Jungs zwischen 19 und 28 ihr Girl Pocahontas nennen…?

Alle: Hmmmmmmm.

Henning: Ich hatte das bei unseren Wanderzirkus-Shows, dass nach dem Konzert einer kam, der eine CD gekauft hat und meinte: Meine Freundin heißt Hanna, aber ich hab jetzt angefangen, die Pocahontas zu nennen. Kannst du vielleicht draufschreiben: „Ich mach’s wieder gut, Pocahontas“? Nee. Das ging nicht. Das konnte ich nicht machen. Das ist dann so eine Überprojektion, die zwar okay, aber in der direkten Konfrontation total absurd für mich ist. Genau so hatten wir Leute, die sich unsere Textzeilen haben tätowieren lassen und erwarten, dass wir das mega feiern. Aber irgendwie ist das einfach nur seltsam verrückt.

Kristof: A propos Textzeilen: Denkt ihr, dass mit euren Texten von Seiten der Kritiker her vielleicht auch deswegen so rigide umgegangen wird, weil man im deutschen Pop so leicht in die Gefühligkeitsfalle tappt?

Christopher: Ich denke, das darf für uns keine Rolle spielen. Klar ist so ein Song wie beispielsweise „3. Stock“ irgendwo kitschig in seiner Aussage, aber wir finden, dass das einer der besten Songs ist, die wir haben. Weil er sich gut anfühlt für uns. Da ist eine mögliche Außenwirkung erstmal gar nicht in unseren Köpfen. Wenn wir das Gefühl haben, dass es jetzt für uns richtig ist, einen Song über ein anderes Thema zu schreiben, werden wir das sicherlich machen, aber die Sachen, die jetzt da sind, entsprechen eben alle Situationen, in denen das Gefühl da war, diesen Song jetzt so schreiben und singen zu müssen.

Henning: Ich glaube nicht, dass es wirklich eine Gefühligkeitsfalle gibt, aber vielleicht gibt es so was wie eine Gefühligkeitsermüdung. Journalisten besprechen ja wöchentlich mehrere Platten; wenn es da immer nur um Gefühle und Liebe geht, nutzt sich das schnell ab. Aber das darf für Künstler nie zwanghaft werden, weil es sonst nicht mehr ehrlich ist.

Kristof: Witzig fand ich in dem Zusammenhang, dass zum Beispiel Get Well Soon ja im Januar ein Album namens „Love“ veröffentlicht haben und alle einhellig gejubelt haben: Das ist ihr bestes Album! Denn endlich singen die über die Liebe!

Henning: Mit Tocotronic war das ja letztes Jahr genauso. Ich fand das toll, dass die das gemacht haben, weil es sich einfach richtig angefühlt hat für die. Die haben politisch so viel gesagt vorher, jetzt wollen sie über die Liebe sprechen und tun es einfach.

Malte: Bei KIZ haben sich immer alle aufgeregt, dass die nur übers Mütterficken gesungen haben - jetzt bringen die auf einmal eine politische Platte raus, da heißt es, die sind jetzt auch bloß auf einen Zug aufgesprungen, weil es gerade so „in“ ist, sich politisch zu äußern. Dabei haben die das auch nur gemacht, weil sie es für richtig hielten. Du kannst eigentlich immer nur alles falsch machen. (lacht)

Kristof: Wir saßen mal nach einer Party zusammen, da ging es auch um Tocotronic. Ein Freund von mir meinte, eine Band mit so viel Intellekt und popkultureller Strahlkraft habe eigentlich nicht das Recht, sich über andere Sachen zu äußern als Politik und Gesellschaft. Sie müsse ihren Status als Sprachrohr eigentlich permanent ausnutzen. Ich frage mich manchmal, ob das von einer (Pop-)band nicht zu viel verlangt ist.

Christopher: Das kann bei Bands funktionieren, die dieses Sendungsbewusstsein haben, dir ständig irgendwelche Statements um die Ohren zu hauen, denn dann bleiben die bei sich. Für uns persönlich finde ich das etwas zu hoch gegriffen.

Henning: Ich denke, dass es für eine Band mit hoher popkultureller Strahlkraft vor allem wichtig ist, nicht irgendwelchen Strömungen zuzuspielen, sondern bei sich zu bleiben. Es geht doch in erster Linie darum, Musik zu machen, und nicht Erwartungen zu erfüllen. Es ist aber auch wichtig, für sich deutlich zu machen, was man will und was man nicht will. Wie etwa, sich nicht mit den falschen Leuten assoziieren zu lassen, weil man auf einer AfD-nahen Veranstaltung spielt oder in Clubs auftritt, in denen sonst Nazibands spielen.

Malte: Dabei geht es nicht darum, sich mit seiner Strahlkraft vor einen Karren spannen zu lassen, sondern sich einfach seiner Reichweite als öffentliche Person bewusst zu sein. Es ist schon wichtig, da zu sagen: Ihr habt eine Stimme, der viele zuhören. Fangt ruhig was damit an. Aber begeht nicht den Fehler, es zu überstürzen und es dadurch dem falschen Zweck unterzuordnen. Man kann auch ohne den Holzhammer zeigen, auf welcher Seite man steht anstatt es den Leuten immer wieder aufs Brot zu schmieren.

Henning: Und wenn es nicht passiert, ist das auch in Ordnung. Dann hat unsere Stimme trotzdem vielleicht dazu beigetragen, dass es die Menschen berührt, sie an etwas erinnert oder sie auf kleine Dinge aufmerksam gemacht. Dann haben wir eben auf eine zurückhaltende Weise kommuniziert.

Kristof: Inwiefern ist die Gegenthese vertretbar? Da wird zum Beispiel dieses junge Fußballtalent vom kleinen Verein nach einer super Saison zum Branchenprimus geholt, bekommt jetzt viel Aufmerksamkeit, steht nach dem Spiel vorm Mikrofon und erzählt immer das gleiche. Dadurch wird er zwar irgendwo zum glatten und profilfreien Abziehbild. Dafür nimmt er sich aber auch jegliche Angriffsfläche. Ist das für jemanden, der im Popgeschäft aktiv ist, eine vertretbare Einstellung?

Henning: Für einen wie Cristiano Ronaldo, der die weltweit meisten Likes auf Facebook hat, funktioniert das jedenfalls prächtig. Ich glaube nicht, dass man von dem fordern würde, dass er sich beispielsweise zur Problematik innerhalb der Europäischen Union äußert.

Malte: Im Popgeschäft hat man es damit glaube ich sehr schwer. Wenn du Fußballspieler bist, kannst du wenigstens noch auf dem Platz stehen und durch deine Leistungen als Teil eines Teams überzeugen. Wenn du Musiker bist und kein Profil hast, bist du schnell auch uninteressant. Da geht es schon nicht mehr nur um Technik und Sound, sondern eben auch um dich als Persönlichkeit. Auch, wenn ich mir oft wünsche, dass das anders ist.

Henning: Da müsste ich jetzt auch wirklich überlegen, bis mir jemand aus der Musikwelt einfällt, der eine große popkulturelle Strahlkraft hat, ohne dass über ihn irgendetwas in punkto Haltung oder Lifestyle bekannt ist. Es ist einfach so, dass du sobald du einen gewissen Stand in dem Geschäft hast, du einfach auch so krass beobachtet wirst, dass die Leute schon etwas finden, wodurch sie dich profilieren können.

Kristof: Gibt es Dinge, von denen ihr euch wünschen würdet, dass Journalisten sie euch fragen?

Henning: Um dein Beispiel mit dem Fußballspieler aufzugreifen, der fernab der Inhaltsebene durch sein Können besticht: Ich würde mich freuen, wenn man uns weniger nach unseren Texten und mehr nach der tatsächlichen Musik fragen würde. Warum habt ihr das Schlagzeug so eingespielt? Welche Songs auf der Platte entsprechen wem von euch am ehesten musikalisch? Habt ihr mal diskutiert, zu diesem und jenem Song noch einen Akkord mehr hinzuzufügen und warum habt ihr das dann doch gelassen? Es wäre toll, wenn da auch ein echtes Interesse für das eigentliche Handwerk bestehen würde.

Severin: Das würde ich mir direkt durchlesen, wenn ich mich für eine Band interessiere. Aber viele, die in diesen musikalischen Entstehungsprozessen nicht so drin sind, finden das glaube ich nicht so spannend. Die wollen natürlich eher über die Texte reden und über uns als Personen, weil es das ist, was sie direkt anspricht und womit sie etwas verbinden. Und ich denke, das wird auch immer so bleiben.


Text: Kristof Beuthner

Fotos: Christina Schoh