Artikel 21.10.2015

Von der Farbe der Sprachen und den Tränen eines Clowns: Interview mit Svavar Knútur

Von Island zu erzählen, ist im popkulturellen Kontext nicht möglich ohne die Begriffe Romantik, Melancholie, Naturschönheit und Liebe. Für all das steht in besonderer Weise auch Svavar Knútur, dessen viertes Album "Brot (The Breaking)" vor kurzem erschienen ist.

Romantik, Melancholie, Naturschönheit und Liebe. Für all das steht in besonderer Weise auch Svavar Knútur, dessen viertes Album "Brot (The Breaking)" vor kurzem erschienen ist.

Und es ist dann eben schon auch so, dass Islands Musik zu ihrem Land passt. Svavar Knútur, so sehr er diesem Schema des waidwunden Troubadours auch beim ersten Hinhören entspricht, entzieht sich diesem Raster dann aber doch immer wieder auf eine äußerst einnehmende Art. Das liegt unter anderem auch daran, dass es ihm gelingt, gleichermaßen intensiv auf wahlweise Isländisch, Englisch oder sogar Deutsch zu singen. Seine Alben sind geprägt von einer fast überbordenden Zärtlichkeit, die auf den ersten Blick gar nicht zu seiner Statur passen möchte. Die Haare zerzaust und von bärig-hünenhafter Gestalt ist es immer wieder ein Erlebnis, mit anzusehen, wie all dieser Sanftmut aus seiner butterweichen Stimme, begleitet in der Regel nur von einer Gitarre oder einer Ukulele, herausfließt.

Aber es passt zu dem Menschen Svavar Knútur, dass das eben nur eine Facette an ihm und dass sein Auftreten, übrigens durchaus auch der Inhalt seiner Stücke, von einer gewissen schelmischen Doppelbödigkeit ist. Er ruht sich nicht aus im Phlegma des naturliebenden isländischen Teddybären, und wenn er darüber singt, dass er sich in ein Girl aus Vancouver verliebt hat, stolpert man alsbald über im gleichen Atemzug verwendete Sätze wie "She's sweet like candy from a stranger", bevor er am Ende "Girl from Vancouver" auf "Lady Dracula" reimt.

Wer Svavar Knútur mal live erlebt hat, der weiß noch viel besser, wovon hier die Rede ist. Denn zwischen diesen unendlich zarten und zerbrechlichen Songs ist es eigentlich schier unmöglich, sich das Lachen zu verkneifen. Da erzählt er von fliegenden Trampolinen in Island, Erlebnissen mit der deutschen Ernsthaftigkeit, als er versehentlich mit den Füßen eine Fahrradstraße betrat, oder von seiner umgekehrten Anorexie, die dazu führt, dass er sich immer so lange selbst für den schärfsten Typen des Universums hält - bis er sich auf einem Foto neben jemand anderem selbst sieht. Muss Photoshop sein, sagt er. Alles kringelt sich.

Ich treffe Svavar Knútur in Hamburg beim Küchensessions Festival, auf dem er nun schon zum zweiten Mal spielt. In der Küche vom Sessions-Veranstalter Jens Pfeifer hat eine Menge angefangen für ihn vor ein paar Jahren, da ist es vor allem Freundschaftsdienst, dass er nur für seinen Auftritt sogar extra am gleichen Tag aus Reykjavik angereist ist.

Kannst du mir ein bisschen über deine Verbindung zu den Küchensessions erzählen und wie es dazu gekommen ist?


Ich habe Jens vor ein paar Jahren kennen gelernt, ich glaube, es war bei einem Konzert. Er hat mich anschließend angesprochen und gefragt, ob ich nicht Lust hätte, ein paar Stücke in seiner Küche zu spielen. Ich wusste überhaupt nicht, worum es sich dabei handelte, aber ich dachte, was soll's? Klar! Und kam vorbei. Es wurde ein wahnsinnig schöner Tag mit unglaublich netten Leuten, und am Ende hat er mich eingeladen, beim ersten Küchensessions-Festival zu spielen. Unsere Freundschaft ist immer weiter gewachsen seitdem und ich würde wahnsinnig gerne mal wieder in seiner neuen Küche spielen. Er ist vor kurzem umgezogen.

War das damals eigentlich die erste Küchensessions-Runde, in der du gespielt hast?

Nein, ich glaube, es war die zweite. Aber es war einfach wunderschön. Auch die Videos, die dabei dann entstanden sind, sehe ich einfach selbst immer wieder gerne.

Spielst du gerne in so intimen Locations wenn nur ein paar wenige Leute zuschauen?

Ja, das heißt: Wenn das Setting intim ist, dann ist es super wenn nur ein paar Leute da sind. In einem großen Raum fühlen sich wenige Leute schon gleich viel weniger nach Intimität an (lacht). Aber das habe ich lange nicht erlebt, zum Glück.Ich erinnere mich da an ein wahnsinnig schönes Erlebnis: Einmal habe ich ein Festival gespielt, bei dem ich in einem Hotel untergebracht war, und die Leute vom Hotel baten mich, ein paar Songs in einem kleinen Raum dort zu spielen. Aber das Festival war um uns herum in vollem Gange, und ich sagte: Leute. Ehrlich. Niemand wird kommen, schaut doch mal nach draußen. Aber sie versprachen mir ein gratis Zimmer und freies Essen, also sagte ich zu, ich hatte ja eigentlich auch nichts zu verlieren. Also baute ich mein Equipment auf und wartete, aber es kam wirklich niemand. Kein einziger. Ich wollte gerade abbauen, da kam plötzlich dieser französische Typ angerannt, völlig außer Atem. Das einzige, was er herausbrachte war: "Habe ich Ihr Konzert verpasst, Mr. Knútur? Ich bin extra aus Reykjavik hergefahren um Sie zu sehen!" Das hat mich unheimlich gerührt. Also haben wir uns zwei Flaschen Rotwein gekauft und ich habe mich mit ihm hingesetzt und all seine Lieblingssongs gespielt und wir haben Unmengen Rotwein getrunken. Das war unfassbar. Ich glaube, ich habe einen Freund fürs Leben gefunden an diesem Abend (lacht).

Und er bestimmt auch! Wie unglaublich es sein muss, so etwas zu erleben. Mit so etwas rechnet man als Besucher eines Konzerts doch wirklich als allerletztes.

Absolut. Aber mitten im isländischen Nirgendwo passieren solche Sachen tatsächlich manchmal.

Man bezeichnet dich ja immer eher als Troubadour und weniger als den klassischen Singer/Songwriter. Siehst du da einen Unterschied? Ist dir das überhaupt wichtig?


Oh, ich weiß nicht. Ich mache ja einfach nur gerne Musik. Und es ergibt sich eben so, dass ich mit meiner Gitarre und meiner Ukulele alleine bin. Das macht mich wohl zu einem klassischen Singer/Songwriter, hm? Aber ich glaube, ein Troubadour ist eher ein offenerer Begriff. Es bedeutet, dass jemand alleine reist, ohne eine Band, während ein Singer/Songwriter durchaus eine Band haben kann. Ich habe jetzt zum ersten Mal ausprobiert, mit einer Band zu arbeiten, und das hat wirklich Spaß gemacht. Es ist aber sehr teuer und schwierig, mit einer Band zu reisen, also mache ich das lieber alleine. Das macht mich dann unterm Strich wohl zum Troubadour.

Sprechen wir über dein neues Album: Das ist ja vielleicht eine blöde Frage, aber musstest du dem "Brot" das "The Breaking" in Klammern hinzusetzen, damit von den deutschen Hörern niemand denkt, es ginge auf der Platte tatsächlich um Brot? (Moderator Jon Flemming Olsen wird sich später ebenfalls zu dem Ulk hinreißen lassen, wenn er betont, er hätte lieber gehabt, dass die Platte "Brot (The Baking)" geheißen hätte)

Ha! Das wäre schon lustig, ja. Ich stelle meinen Alben aber eigentlich immer ganz gerne englische Titel zur Seite, also war das jetzt hier eigentlich nicht anders - aber es hat in diesem Fall wirklich auch nicht wehgetan, es zu tun (lacht). So viele Leute aus Deutschland, die ich kenne, schreiben mir und sagen: "Hahaha, das ist so lustig, dein Album bedeutet ja das Gleiche wie bei uns in Deutschland Brot!". Ich nicke dann nur noch freundlich.

Was bedeutet es denn wirklich?


"Brot" bedeutet eine unheimliche Naturgewalt, einen Zusammenprall, eine Explosivität, wie wenn im schlimmsten Sturm das wüste Meerwasser auf die Felsen an der Küste schlägt und eine unfassbare Zerstörungskraft entwickelt. Das Album handelt metaphorisch gesehen partiell eben genau davon - und wie du das überleben kannst.

Du hast ja für das Album nun erstmals mit einer Band gearbeitet - war es hilfreich, diese Naturgewalt deutlicher herauszustellen, weil eine Band schon durch das Instrumentarium eine ganz andere Kraft entwickeln kann?

Ja, ich glaube, das kann man so sagen. Und ich habe auch gespürt, dass es Zeit wurde. Ich habe immer alleine gearbeitet, aber nun kam ich an einen Punkt, an dem ich selbstbewusst genug mit meiner Musik und meinem Sound war, um ihn zu erweitern.

In diesem Moment werden wir plötzlich durch ein Klingeln an der Bürotür unterbrochen: Jonas David, der im Anschluss auf der Bühne stehen wird, möchte gerne das Bad benutzen, aber in keinem Fall stören.

Jonas. Den mag ich.

Ich kenne ihn eigentlich erst so richtig, seit er mit dem Projekt Tour of Tours unterwegs ist.

Ein wahnsinnig tolles Projekt. Ich habe sie leider nie live spielen sehen. Aber ich finde es eine so tolle Idee, viele verschiedene Troubadoure, die sonst immer alleine spielen, zu einer riesengroßen Band zu verbinden. Wirklich faszinierend.

Zurück zu deinem Album - mit wem hast du noch aufgenommen? Du hast dieses Mal einen Chor und auch wieder zwei Gastsängerinnen dabei...

Ja, einen wundervollen Chor, wirklich. Außerdem singt eine gute Freundin von mir, Kristjana Stefansdottir, eine isländische Jazz-Sängerin, und auch wieder Marketa Irglova von The Swell Season, die inzwischen in Island fast neben mir wohnt. Sie ist so großartig. Ich hätte sie gerne auf mehr Stücken dabei gehabt, aber war zum Zeitpunkt der Aufnahmen so unglaublich schwanger, dass es einfach nicht möglich war (lacht). Also warteten wir statt dessen gemeinsam auf ihr Baby.

Wenn du auf der Bühne stehst, erzählst du ja gerne sehr viele Geschichten über die Entstehung deiner Songs. Gibt es da zum neuen Album eine ganz besonders schöne?

Oh, das ist wirklich schwierig, weil alle auf ihre Art einzigartig sind. Es gibt da aber diesen einen Song namens "Ulfár", er handelt von meinem Sohn. Mehr noch: Es ist ein Song FÜR ihn, und ich schrieb ihn MIT ihm. Und er war erst drei Monate alt, als ich begann, den Song zu schreiben. Das muss man sich so vorstellen: Ich habe ihm Akkorde vorgespielt und sang ein paar Zeilen für ihn, und wenn er es mochte, hat er gelacht und sich entspannt und ist manchmal sogar eingeschlafen, aber wenn es ihm nicht gefiel, wurde er richtig wütend! Langsam, nach und nach, wurde der Song auf diese Weise zu dem, was er ist - eine Kooperation von mir und einem Säugling. Eine wunderschöne Erfahrung.

Worum geht es genau?

Es geht im Endeffekt um ihn. Um einen kleinen Jungen wie ihn, der so wichtig für mein Leben geworden ist. Sein ganzes Leben liegt noch unberührt vor ihm, noch nichts ist entschieden, alles wird noch passieren, und sein Lebensbaum hat gerade erst begonnen, zu sprießen - und seine kleine Seele sucht noch so unbedarft nach allem Schönen dieser Welt.

Wie entscheidest du eigentlich, ob du auf Englisch oder Isländisch singst?

Für mich sind Sprachen wie verschiedene Arten von Farbe: Du kannst mit Wasserfarben malen, mit Öl- oder Pastellfarben. Isländisch ist für mich eher mit Wasserfarbe vergleichbar, die mir ermöglicht, Dinge auf eine spezielle Art darzustellen. Aber Englisch fühlt sich eher an wie Öl - für eine andere Stimmung, eine andere Idee. Ich versuche das mal so zu erklären: Wenn ich Natur beschreiben möchte, ist es für mich sehr schwer, das auf Englisch zu tun. All die Namen für die Dinge, die für mich so echt und wahrhaftig sind, kann ich einfach nicht auf Englisch erklären. Das ist seltsam, aber so ist es.

Kannst du dir erklären, warum Leute, die der isländischen Sprache nicht mächtig sind, eben solche Dinge wie Naturphänomene und andere Schönheiten automatisch damit verbinden? Sie kümmern sich auch gar nicht darum, worum es wirklich geht, sondern sie hören zu und lassen sich fallen. Wie kommt das?

Ich glaube, das liegt daran, dass das Isländische für viele etwas sehr exotisches beinhaltet. Es muss durch diese Exotik etwas wunderschönes beschreiben, verstehst du? Ich persönlich mag es eigentlich nicht, wenn Leute so denken. Sie sollten in der Lage sein, zu erkennen, dass jede Sprache etwas wunderschönes und etwas unheimlich hässliches beinhalten und ausdrücken kann. Aber wenn Isländer Songs schreiben, mindestens die, die damit auch erfolgreich sind, dann schreiben sie eben tatsächlich über Melancholie und Schönheit und solche Dinge, die sie wirklich berühren. Man hat eben auch viel mehr Erfolg, wenn man Songs über so etwas schreibt, als wenn es ständig nur von Mord oder Hässlichkeit handelt.

Zumal es dann ja häufig auch mit der Ästhetik der Musik einher geht.

Ja, richtig. Ich glaube, die isländische Sprache ist einfach auch sehr gut dafür geeignet, sie zu singen. Wenn du mal hörst, wie wir sprechen, dann wirst du merken, dass die Sprache sehr hart klingt. Seltsamerweise ist das völlig anders, wenn sie gesungen wird.

Das glaube ich dir. Ich höre Isländer ja eigentlich wirklich nie miteinander sprechen, aber ich kann mir schon vorstellen, dass es da einen Unterschied gibt! Dann kommt bei dir aber ja auch noch die deutsche Sprache dazu: Du hast zum Beispiel auf deiner letzten EP ein Cover von Johannes Brahms' "In stiller Nacht" gehabt. Wie bist du an dieses Stück gekommen?


Ich habe daheim in Island klassischen Gesang studiert, und dieses Stück fiel mir in die Hände und ließ mich nicht mehr los. Ich habe mich vollkommen in dieses Stück verliebt und in seine wundervolle und romantische Botschaft. Nach und nach habe ich es dann immer häufiger bei Konzerten gespielt und es schließlich mit auf die EP genommen. Ich würde total gerne ein ganzes Album mit diesen alten deutschen und französischen Weisen aufnehmen.


Als du dann für diese EP einen Titel finden musstest, hast du dich auch für drei deutsche Begriffe entschieden: Weltschmerz, Waldeinsamkeit und Wanderlust.


Ja. Sie beschreiben meinen kreativen Schaffensprozess einfach am besten. Weißt du, es ist so: Du fühlst diesen Weltschmerz ständig, jeden Tag in der Woche, jede Stunde. Du musst irgendwie damit umgehen, und du tust es, indem du dir ein wenig Waldeinsamkeit suchst, um in Ruhe nachzudenken, deine Gedanken aufzuschreiben, dich zu erleichtern. So entstehen all diese Songs. Wenn das vorbei ist, dann packt dich aber die Wanderlust, denn du möchtest hinausgehen und die Welt und deine Geschichten erzählen und deine Erfahrungen mit all den Menschen teilen. Das ist wie ein Kreislauf, alles bedingt einander und wiederholt sich immer und immer wieder.

Ist dann die Verwendung dieser Begriffe auch darauf zurückzuführen, wovon du vorhin sprachst: Ist auch das Deutsche für dich wieder eine Art Farbe, die dir ermöglicht, eine bestimmte Facette von dir zum Ausdruck zu bringen?

Ich glaube einfach, dass die deutsche Sprache eine ist, die die Quintessenz an Bedeutung von vielen Dingen - zum Beispiel Gefühlen - wirklich eindrucksvoll auf den Punkt bringt. Die deutsche Kultur ist, wie ich finde, sehr auf Sprache basiert und sehr erfinderisch, wenn es darum geht, das menschliche Befinden so zu beschreiben, dass es begreifbar gemacht werden kann. Das gefällt mir sehr.

Magst du eigentlich Klischees? Ich meine, wenn du auf der Bühne stehst, machst du eine Menge Witze darüber, wie sich Menschen in den unterschiedlichen Ländern, die du besuchst, verhalten, und auch darüber, was man von dir als Isländer für ein Verhalten erwartet. Ich habe mich gefragt, ob es dir Spaß macht, all die Inspirationen, die du bekommst, dafür zu nutzen, mit diesen Erwartungen oder mit bestimmten Konventionen zu brechen...

Ooooh, ja. Ich finde, das hast du echt gut beschrieben. Mehr noch, ich liebe es, diese Ideen, die Leute von mir und meiner Heimat haben, zu nehmen und am Boden zu zerschmettern (lacht). Schaut mich an, ich bin der fette Typ in der Weste, mit den immer zerzausten Haaren, gar nicht so ein akkurater Troubadour. Es ist großartig, so etwas tun zu können. Das macht einfach wahnsinnig viel Spaß.

Hat es auch etwas damit zu tun, dass du bei deinen Auftritten, auf denen man eigentlich einen sinnlichen Abend mit ruhigen und traurigen Songs erwarten würde wenn man nur deine Alben kennt, so viele wirklich lustige und auch abgefahrene Anekdoten erzählst? Es ist halt wirklich witzig und funktioniert ja tatsächlich bestens, aber ich muss zugeben: Als ich dich zum ersten Mal habe spielen sehen, hat es mich erstmal ganz schön überfordert. Dieser Spagat war wirklich schwer.

Ich glaube, der Hauptgrund dafür ist, dass meine Songs auch für mich immer wieder aufs neue sehr ehrlich, emotional und intensiv sind, wenn ich sie spiele. Ich dachte mir eines Tages: Wenn ich all diese Songs einfach hintereinander spiele, werde ich die Leute damit töten oder wenigstens unglaublich deprimieren. Vielleicht würden sie sich sogar langweilen und kaum erwarten können, dass es endlich vorbei geht mit all der Gefühligkeit. Aber für mich selbst ist es auch wichtig. Weißt du, ich öffne mich bei meinen Konzerten vollständig. Wenn ich einen so traurigen Song gespielt habe, brauche ich einen Weg, mich für kurze Zeit wieder zu sammeln und zu "verschließen". Das geht für mich sehr gut, indem ich zum Beispiel einen dummen Witz mache und die Melancholie wieder einsammle. Ansonsten fließt alles aus mir heraus, kommt aber nicht mehr zurück. Dann bin ich irgendwann leer.

Wann hast du zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, dass das funktioniert - für dich und das Publikum?

Wenn ich darüber nachdenke, muss ich ehrlich sagen, dass es immer schon so gewesen ist, wenn ich irgendwo aufgetreten bin. Ich bin eben ich. Wenn ich spiele, lüge ich niemanden an. Ich fordere die Leute heraus, erzähle seltsame Dinge, mache Witze über mich selbst; das bin eben auch ich. Ein guter Freund hat mal zu mir gesagt, ich wäre einfach ein Naturtalent als Clown. Und weil ich im Herzen immer schon ein Clown war, fällt es mir so leicht, ernste Situationen "aufzuclownen". Diese Idee mag ich! Denn ein Clown ist immer ehrlich auf seine Weise und sagt die Dinge so, wie er sie fühlt und wie sie für ihn sind. Das funktioniert dann wie eine Variation von der tiefen Ehrlichkeit der Traurigkeit meiner Songs und ermöglicht mir, all den Ernst und die Spannung in Humor und in Lachen aufzulösen.

Mir fällt dabei auch das Bild von dem traurigen Clown ein - dann ist es ja so, dass du beide Seiten des Clownseins zu einem großen Ganzen vereinst.


Vielleicht ist das so. Eine sehr pure Interpretation dieses Begriffs. Vielleicht ist das mein Ziel, unter der Maske eines Clowns meine Existenz auf das Ehrliche und Wahre zurückzuführen: Einen Menschen, der randvoll ist mit Liebe, Trauer und Freude, wenn er auf einer Bühne steht. Ich bleibe nicht egoistisch mit meinen Gefühlen alleine, sondern ich teile sie ehrlich. Und dieser Gedanke gefällt mir sehr.


Text und Illustration: Kristof Beuthner

Vorlagen für die Illustrationen: Zippo Zipperman

Foto: Christian Lang