Rezensionen 21.03.2018

The Boxer Rebellion - Ghost Alive [Absentee Recordings / Tunecore]

Nein, Stillstand gibt es bei der Band aus London nicht: Auch ihr sechstes Album klingt wieder völlig anders als sein Vorgänger. „Ghost Alive“ ist laut Sänger Nathan Nicholson das bisher intimste und persönlichste Werk von The Boxer Rebellion - was sich am neuen Bandsound auch gut ablesen lässt.

Irgendwo zwischen Editors-Postpunk, Sigur Rós-Elegie und Coldplay-Melancholie (so etwa entliehen aus der „Parachutes“- bzw. „Rush Of Blood“-Phase): Das hat man den Leuten erzählt, die gerne wissen wollten, wie die Band denn nun klänge, von der man so lange schon schwärmte. The Boxer Rebellion aus London sind schwer einzusortieren, was auch daran liegt, dass jedes Album bisher anders klang: Vom teilweise explosiven, rifflastigen Postpunk (sogar mit Hang zum Postrock!) der ersten Alben „Exits“ und „Union“ über den zunächst recht düsteren, dann schon für manche fast zu strahlenden Pop von „The Cold Still“ und „Promises“ bis hin zum Synthesizer, der auf dem bisher schwächsten Boxer Rebellion-Album „Ocean By Ocean“ vor zwei Jahren tragendes Element wurde, hat man von dieser Band schon vieles gehört - einen instrumentalen Stripdown allerdings noch nicht, und genau das ist auf „Ghost Alive“ der Fall.

Ursprünglich wollte die Band eine Acoustic-EP mit reduzierten Versionen bekannter Stücke aufnehmen, da kam ihnen das Leben dazwischen. Nun werden die Percussions plötzlich nur noch gestreichelt, da hören wir akustische Gitarren und Streicher - und eben einmal mehr Nathan Nicholsons einprägsame, bis ins Falsett glasklare Stimme, die das große verbindende Element aller Boxer Rebellion-Alben ist und aus der sich so gut die inneren Dämonen eines Mannes lesen lassen, der lange unter Depressionen litt - und nun kürzlich nicht nur seinen Vater verlor, sondern auch sein ungeborenes Kind, was wirklich niemand erleben sollte. Den Sound von LP Nummer 6 haben diese Erlebnisse jedenfalls entscheidend geprägt: Den Anlässen entsprechend trägt „Ghost Alive“ eine sehr intime und persönliche Note, klingt still und nachdenklich, kathartisch und trotzdem weise, so als würde sich Nicholson selbst beraten, wie er die Trauer zu einem Teil von sich machen und hoffnungsvoll in die Zukunft schauen könnte. Mehr Verarbeitung als in „Here I Am“ geht dabei kaum - dieses an Sigur Rós erinnernde Klagelied ist eine der stärksten Boxer Rebellion-Nummern ever, das berührt schon sehr, und wenn man um die Vorgeschichte der Platte weiß, ist eine Zeile wie „I’ve lost you once, I won’t lose you again“ schnell in den richtigen Zusammenhang gestellt. Da ist „Love Yourself“, das natürlich kein Justin Bieber-Cover ist, sondern sehr herzerwärmend dazu aufruft, trotz der unvermeidlichen Fehler und Macken bitte in Selbstliebe und -respekt Unterstützung zu finden, und da ist der Opener „What The Fuck?“, der die Wirren der derzeitigen Weltlage in drei Wörten sehr treffend zusammenfasst.

Dass der Platte dann doch immer mal auch die Luft auszugehen scheint, liegt vielleicht auch daran, dass das Songwriting von Nicholson zwischendurch wieder den radiotauglichen Pop zu lieb hat und einige wenige Songs sehr plätschern - aber das mag Ansichtssache sein, wie dank der stilistischen Variabilität so ziemlich über jedes Boxer Rebellion-Album bisher die Meinungen auseinander gingen, je nach Gusto und persönlichen Vorlieben. Durch seine große Traurigkeit und die tröstliche Wärme steht „Ghost Alive“ trotzdem neben „Union“ und „Promises“ in den bandeigenen Top 3. Es ist ein Album für die ruhigen Zuhörmomente, ganz ohne Ausbrüche und Soundwände, und das steht The Boxer Rebellion sehr. Sie werden es auf dem nächsten, dann siebten Album wieder anders machen. So oder so. Soviel steht fest.