Artikel 27.09.2011

St. Pauli at its best. Nillson beim Reeperbahn Festival 2011.

3 Tage, Über 200 Künstler, Mehr als 20 Locations, Hamburg, Reeperbahn. Soweit die vielversprechenden Fakten, die wir uns auch dieses Jahr auf keinen Fall entgehen lassen wollen.

Das, was das Reeperbahn Festival so einmalig macht, sind wohl die vielfältigen Locations in denen ein breites Spektrum internationaler Künstler zum verweilen einladen. So hat man an diesem Wochenende auch als Hamburger die Möglichkeit, viele Location zu erkunden, die eventuell noch unbekannt sind, oder die man im Alltag nicht mit Musik in Verbindung bringen würde - geschweige denn mit Live-Musik. Oder wann hat man schon mal die Gelegenheit, sich in einer Haspa-Filiale von einer Indie Band in maximaler Lautstärke beim Geld abheben beschallen zu lassen? Für mich eine ganz angenehme Art der Kundenbetreuung.

Diese besondere Ausgangssituation lässt uns dieses Wochenende, welches schon am Donnerstag beginnt, in Pearls Table Dance Club starten. Da wartet nämlich Josh Ottum auf uns. In dem bestuhlten Etablissement gelingt dem kalifornischen Singer Songwriter ein klangvoller Auftakt. In Neonlicht gehauchter Kulisse und mit eindrucksvoller Stimme. Eine besondere Form von Intimität in einer Table Dance Bar.

Anschließend geht es direkt in die kleine und gemütliche Hasenschaukel, wo Der Don und Daniel kurzfristig für Sarsaparilla eingesprungen sind. Der Bandname ist für mich immer wieder verwirrend, wenn man bedenkt, dass Der Don und Daniel aus drei (und nicht zwei) Bandmitgliedern besteht und es auch keinen Don (wohl aber einen Daniel) in der Besetzung gibt. Wie dem auch sei. Die Band überzeugt uns bereits nach dem ersten Lied und die unglückliche Überschneidung mit Die Heiterkeit scheint sofort vergessen. Das Konzert ist, wie so oft in den kommenden Tagen, viel zu schnell zu Ende und macht einfach Lust auf mehr. Wir klammern uns an die Vorfreude auf morgen, da wird Frontmann Deniz auch mit seiner Band Herrenmagazin am Start sein.

Die nächste Station ist die Pooca Bar auf dem Hamburger Berg, wo wir gerade noch rechtzeitig zu Florian Ostertag aufschlagen. Besonders beeindruckt hat mich hier die atemberaubende Instrumentenvielfalt. Neben der üblichen Gitarren-Schlagzeug-Kombination, schmücken Mandoline, Ukulele, Piano, Trompete und eine Schreibmaschine(!) das Bühnenbild und machen den Sound, in Kombination mit der perfekt eingesetzten Loopmachine, zu einem unvergesslichen Klangerlebnis.

Den Abschluss des Abends wird Touchy Mob in Angie´s Nightclub für uns gestalten. Mit treibenden Synths und dazu passender Stimme harmoniert es perfekt mit Uhrzeit und Stimmung der Masse. Pünktlich zum Tageswechsel übernimmt das Publikum für einen Moment den musikalischen Part und singt ein kleines Ständchen für Ludwig, der heute in seinen Geburtstag reinspielt.

Der zweite Tag beginnt in den Fliegenden Bauten mit Ben Howard, der es schafft alle Plätzen zu besetzen und für einen Einlass-Stopp zu sorgen. Obwohl das Debütalbum erst in ein paar Wochen raus kommt, scheint sich die große Klasse des Engländers schon rumgesprochen zu haben. Um es kurz zu machen, das Konzert endet mit Gänsehaut und Standing Ovations.

Friendly Fires spielen im Anschluß im Uebel & Gefährlich und bringen die Massen sprichwörtlich zum kochen. Es ist warm und stickig. Frontmann Ed Macfarlane gibt ohne Pause vollen Körpereinsatz und singt auch gerne das eine oder andere Lied direkt im Publikum.

Wir müssen leider vorzeitig abbrechen um es rechtzeitig in die Große Freiheit 36 zu schaffen, wo Herrenmagazin, unser vorletzer Act des Abends, zu spielen beginnen. Es fällt auf, dass der Ansturm nicht ganz so groß ist, wie ich es erwartet habe (das könnte wohl an der Überschneidung mit Turbostaat und Escapado liegen?). Im Verlauf des Konzertes, will das Publikum auch nicht so ganz warm werden mit der Hamburger Indie-Rock-Band, die sich in Sachen Lautstärke und Bühnen-Energie eigentlich nichts vorzuwerfen haben.

Den Schluß des zweiten Tages machen dann Hundreds, die mit einer wie immer perfekten Kombination aus Sound, Licht und Visuals eine Punktlandung in Sachen Liveperformance hinlegen.

Der letzte Tag hat dann in Sachen breites Spektrum noch eine Schippe draufzulegen. Es geht los mit einem grandiosem Piano Konzert von Dustin O'Halloran in der St. Pauli Kirche. Eine einmalige Klangwelt, die in keinem größeren Kontrast zu dem bisher Gehörten stehen könnte.

Die Neugier treibt uns dann zu die Orsons ins Moondoo. Ein Genre, welches ich normaler Weise nicht zu meinem bevorzugten Musikgeschmack zählen würde. Ich habe aber im Vorfeld so viel Gutes gehört, dass ich mir davon unbedingt ein Bild machen muss. Und genau dieses Bild, überrascht mich wirklich. Es handelte sich keineswegs um unsympathischen Proleten-Rap. Es gibt bei wirklich jedem Lied irgendetwas unerwartetes zu sehen oder zu hören. Sei es ein aus Menschen geformtes Fahrrad, spontane Publikumsläufe, Mikrofonabgabe ans Publikum oder einfach nur humorvolle Einspieler diverser Zitate aus Funk und Fernsehen. Und nicht zu vergessen einem klasse Mashup von Wir Sind Helden's "Nur ein Wort". Definitiv die kreativste und kurzweiligste Bühnenshow der letzten drei Tage. Wie gut ich das auf Platte finde, werde ich erst die kommenden Tage herausfinden...

Danach geht es noch ein letztes Mal in die Große Freiheit 36, die heute ganz im Zeichen von Audiolith steht und den gesamten Abend Künstler des Hamburger Labels vorzuweisen hat. Da schauen wir doch gerne mal bei Bratze vorbei, die den Laden mächtig in Bewegung bringen und die Temperatur und Luftfeuchtigkeit spürbar steigen lässt. Am Schluss bleibt sogar Zeit für ein paar Zugaben bis das Keyboard letztlich bei einer spontanen Zeremonie noch auf der Bühne zerstört wird.

Moritz Krämer lässt das Festival dann in Angie´s Nightclub als eines meiner ganz persönlichen Highlights ausklingen. Der Berliner weiß mich einfach zu unterhalten. Die ganz besondere Mischung aus Humor, Ehrlichkeit und Intimität machen seine Texte extrem eigenständig und den Sänger sehr sympatisch.

Drei schöne Tage neigen sich dem Ende und es bleibt ein ganzer Sonntag, um sich zu sammeln und das Gesehene und Gehörte sacken zu lassen. Im Vergleich zu den Vorjahren hat sich eigentlich kaum etwas geändert, was durchaus ein gutes Zeichen ist. Wie immer war die Organisation perfekt und ohne erkennbare Zwischenfälle. Die Bands waren trotz der Anzahl und Vielfalt mit großer Sorgfalt und gutem Händchen ausgesucht. Der diesjährige Besucherrekord (17.500) ist also mehr als nachvollziehbar. Natürlich kommen wir auch nächstes Jahr wieder.

Text und Fotos: Stefan Kracht

Links zum Thema: Reeperbahnfestival