Artikel 10.07.2019

Sonne in Scheeßel? Richtig gutes Zeug. - Nillson beim Hurricane Festival 2019

Wenn du zum Hurricane fährst, dann weißt du, dass dieses Festival seinem Namen alle Ehre macht, du bis auf die Knochen durchweicht vor der Bühne stehen und in Zukunft für jeden wetterbedingten Härtefall erprobt sein wirst. Nun: 2019 kam alles ganz anders.

Was geht denn mit dir, Scheeßel? All die Jahre, die wir am Eichenring im Regen verbracht haben, härteten uns ab und machten uns planungssicher für Regenzeiten, so auch dieses Jahr, und dann kommst du mit so einem Wahnsinnswetter um die Ecke? Sonnenschein, Scheeßel-Staub, strahlend blauer Himmel? Pommes essen, die knusprig bleiben, weil sie mal nicht vom Wasser durchgematscht wurden? Grills, die anbleiben? Kennt ja keiner mehr, so was. Das letzte Mal gab es hier gefühlt 2008 so ein Wetter, das ist ja echt schon einige Zeit her. Was für ein Verwöhnprogramm und, vor allem, was für ein ungewohntes Bild für uns Nordlichter, die wettertechnisch ja nun wirklich Kummer gewöhnt sind.

Aber, das lässt sich nicht leugnen: Es hebt die Stimmung natürlich ganz beträchtlich. Nicht nur bei uns - wir hatten uns schlaftechnisch in diesem Jahr mal für die ganz entspannte Pendel-Variante entschieden, die uns ein weiches Bett, die warme Dusche am Morgen und frische Brötchen versprach. Möglicherweise kommt man in die Jahre, andererseits kann man sich aber ruhig auch mal was gönnen, und die horrenden Preise für die Resort-Tickets sind keine erwünschte Option und werden es wohl auch nie sein. Aber all die anderen wackeren Mordor-Camper dürften es durchaus begrüßt haben, mal nicht am Freitagmorgen schon durch den Schlick zu waten, in einer riesigen Wasserlache aufgewacht zu sein oder ohne die Aussicht auf Wechselklamotten das ganze Wochenende noch vor sich zu haben. Womöglich, sogar wahrscheinlich, dürfte sie zwar selbst das nicht nachhaltig schockiert haben, wenn es so gekommen wäre; vom Einbruch jeder Zivilisation nach Dauerregen berichteten wir ja schon 2016 und rieben uns darob die Augen. Aber man festivalisiert doch um einiges entspannter, wenn man plötzlich an Sonnencreme denken muss und nicht an Regenjacken, und wenn man einfach nochmal vor seinem Zelt im Campingstuhl wegnicken kann, ohne danach bis auf die Knochen durchgeweicht zu sein. Wer am Donnerstag schon dem Kick-Off mit Beauty & The Beats beigewohnt hat, war auch soundtechnisch exzellent auf ein starkes Wochenende eingestellt, das den Hedonisten wie den Gourmets, den Ballermann-Festivaltouristen wie den erfahrenen Hurricane-Jüngern ein ziemlich feines Programm bieten sollte.

Und die entspannte Atmosphäre ziehen wir uns an wie ein zweites Shirt. Kein sklavisch organisierter Timetable in diesem Jahr, keine große Gruppe, viel Gutes im Lineup mit ausgewählten, zwingenden Highlights, und zwischendurch gibt es eine relaxte Runde Riesenrad. Das steht in diesem Jahr wieder genau im Zentrum zwischen den umbenannten Bühnen Mountain Stage (vormals Red), River Stage (Blue) und Forest Stage (Green) und ermöglicht uns eine wunderbare Panorama-Aussicht über die Ameisenkolonie da unten, die sich emsig von Bühne zu Bühne wuselt. Ausverkauft ist es nicht, das Hurricane Festival 2019; bis zum Schluss können noch Kombi-Tickets und Tageskarten (ein immer besser funktionierendes und scheinbar auch dankbar angenommenes Modell) erworben werden. Voll ist es natürlich trotzdem und auch wir stürzen uns nun ins Getümmel.

Shame
sind ein wirklich guter Eröffnungs-Act für uns, auch wenn die Briten ein wenig damit zu kämpfen haben, dass sich das Publikum zunächst noch eher zufällig zu ihnen verirrt hat. Für viele sind Shame spürbar die erste Band des diesjährigen Festivals, und der Abriss-Ehrgeiz bei den Menschen ist gewohnt groß, die Mechanismen greifen aber noch nicht so ineinander. Man beäugt sich noch gegenseitig etwas, hat dann eine gute Zeit zusammen, aber nach Herzensliebe sieht es nicht aus - wenngleich ich sagen muss, dass nur wenige britische Bands derzeit einen solchen Zug entwickeln. Post-Punk trifft Pop und Indierock mit Schmackes und viel wütender Energie, das macht schon viel Spaß.

Bei Cigarettes After Sex war ich persönlich sehr gespannt, wie sich ein Konzert der doch sehr introspektiven, zwischen Slowcore und Dream-Pop mäandernden Band zur Prime Time auf der zweitgrößten Bühne anfühlen würde, immerhin Open Air und noch im Hellen. Aber selbst wenn wir uns einig sein dürften, dass zu einer solchen Band am besten ein verrauchter, mit samtenen Vorhängen behangener Nachtclub passt, tut die Bühnenregie ihr möglichstes, um das verquere tatsächliche Setting mit der zu evozierenden Atmosphäre zusammenzubringen, setzt Nebelmaschinen ein und strahlt das Bühnenbild auf den Großbildleinwänden in schwarzweiß aus, das gibt dem Ganzen einen edleren Touch und ist schön so. Das Publikum, das inzwischen aber nun wirklich feiern will, ist zu meinem Amüsement spürbar verdutzt, wie langsam und ähnlich die Songs sich sind, aber wer sich darauf einlässt oder das sowieso mag, darf ein schönes Konzert sehen, bei dem in Wirklichkeit nicht viel passiert, aber das ist auch gut so.

Es folgen die Leoniden, die letztes Jahr noch das Festival mit einer gewohnt exhaltierten Zeltbühnenshow am Donnerstag mit eröffnet hatten, auf der roten Bühne, die inzwischen Mountain Stage heißt. Bei einem wie Jakob Amr, der vor Jahren selbst noch als Fan und Freak in der Menge stand, glaubt man vom ersten Moment an, dass dieser Auftritt heute eine persönliche Sache ist: Die Ansagen sind von großer Dankbarkeit geprägt, und live macht diesen Jungs sowieso kaum jemand etwas vor. Da bleibt mal wieder kein Stein auf dem anderen, alles klingt fantastisch tight und das Publikum frisst den Leoniden einmal mehr aus der Hand. Das macht die Kieler ganz fraglos zu einer der derzeit erfolgreichsten Bands dieses Landes, und eine Show dieser Größenordnung ist in jeder Hinsicht ein Ausrufezeichen unter diese Aussage.

Die höchste Eisenbahn wirken dann auf der Zeltbühne, jetzt Coast Stage, wie ein Fremdkörper, im positiven Sinne. Für eine erste Hurricane-Show mag man sich fragen, wie man auf die Idee gekommen ist, Francesco Wilking, Moritz Krämer und ihre wunderbare Indie-Pop-Soul-Funk-Chanson-Formation für ein Zwillingsfestival zu buchen, dessen Publikum inzwischen weitgehend dem kalten Getränk zugetaner ist als dem guten Ton und erst recht dem weisen Wort. Trotzdem oder gerade deswegen entsteht hier vor der Bühne eine fast schon heimelige und familiäre Atmosphäre; zufällig reingeschneit ist hier keiner, das können alle zusammen genießen; Songs der tollen ersten Platte „Schau in den Lauf, Hase“, der nicht minder filigranen zweiten „Wer bringt mich jetzt zu den anderen“ und erste Vorboten des in Kürze erscheinenden dritten Werks fügen sich zu einem richtig schönen Konzert zusammen, inklusive Wilking-Slam auf „Robert“ und einem netten Dank an alle Bands, die an diesem Tag für Die höchste Eisenbahn Support gespielt haben. Und mit ein wenig Wehmut denke ich an die Zeit zurück, in der Truppen wie die 257ers auf dem Hurricane noch nicht das Sagen hatten.

Damit sind die Freitags-Highlights dann im Grunde auch schon zusammengefasst: Für den Rest des Abends lassen wir uns treiben. Zum energetischen Metalcore von Parkway Drive, der völlig klar geht, zum Austro-Glam-Pop von Bilderbuch, der auf der großen Bühne inzwischen ziemlich stark wirkt, dann tatsächlich für fünf Songs zu den Toten Hosen, die man nun eben mal gesehen hat - ohne viel Nachhaltigkeit, denn die große Stadion-Nummer ist zwar imposant inszeniert, aber einfach nicht unsere Tasse Tee, und abschließend zu Tame Impala, deren Auftritt zwar in psychedelischer Brillanz erstrahlt, für einen letzten Blue Stage-Act aber nicht genügend zieht, weil das Bühnenbild den Sound besiegt und das allein nicht genügt, um noch einen draufzusetzen.

Da machen wir uns doch lieber fit für den Samstag und genießen mit Fünf Sterne Deluxe ein kleines guilty pleasure. Tobi, Bo und die Crew brauchen kein Bühnenbild, ein mit Gaffa auf das DJ-Pult getaptes Logo sorgt eher für das schöne slackerhafte Understatement, das wunderbar altmodisch wirkt zwischen dem ganzen hochstilisierten Bühnenbombast, den etwa auch die Beginner im vergangenen Jahr aufgeboten haben. 90er Hip Hop aus unserer Hochphase, das weckt natürlich Erinnerungen, und die Jungs sind super in Form, skandieren zusammen mit dem Publikum immer wieder „Nicht zu alt!“ und spielen eine Menge alte Hits vom Über-Album „Sillium“. Seine Halbwertszeit mag dieser Sound überschritten haben, Spaß macht er enorm, und so beenden wir das Konzert mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

Das bleibt für Frank Turner & The Sleeping Souls auch gleich kleben, denn das ist eine self-fulfilling prophecy wie sie im Buche steht. Es ist extrem heiß, ganz untypisch für dieses grundsätzlich verregnete Festival, und die Energieleistung von Sympathiebolzen Turner ist schier bewundernswert. In der prallen Sonne macht er auf der Green Stage mächtig Kilometer; sein Einsatz ist mindestens genauso bewundernswert wie der von all den unverdrossenen Tänzern im Publikum, die trotz der knallenden Sonne einfach nicht stillstehen mögen. Als sich Frank Turner zum Crowdsurfen ins Publikum wirft, ist sein Hemd in der Folge klatschnass und vor allem pottendreckig vom Scheeßel-Staub der Hände seiner Träger. Das hat mal wieder sehr viel Spaß gemacht.

Flogging Molly sind mit ihrem Irish-Folk-Punk auch immer wieder aufs Neue sehenswert, auch wenn sich langsam der Eindruck verhärtet, diese Band existiere nur auf Festivals, weil sie einem ansonsten irgendwie nie begegnet. Seit einer gefühlten Ewigkeit gehören sie fest zum Hurricane/Southside-Inventar, aber es wird halt auch nicht langweilig; die Leute springen und pogen in herrlichster bierseliger Atmosphäre. Genau hier gehört diese Party aber auch hin: Flogging Molly mögen für die meisten nicht das Highlight ihres Festival-Wochenendes sein, aber sie sind für späte Nachmittage mit ihrer unzerstörbaren Energie auch immer wieder klasse.

Morrissey mag man aufgrund seiner schwurbeligen Äußerungen zu Gesellschaft und Weltpolitik inzwischen ja überhaupt nicht mehr auf den Pelz kucken, aber bei seinem ehemaligen Smiths-Companero Johnny Marr lässt es sich dafür sehr gut aushalten. Mit der unterkühlten Würde eines inzwischen auch gut in die Jahre gekommenen britischen Rockstars bindet der Gute nicht wenige liebgewonnene Smiths-Klassiker in sein wunderbares Set ein; der Altersdurchschnitt im Zelt schnellt in die Höhe, aber die Zeitreise in die 80er funktioniert, und zeitlos ist seine Musik ja ohnehin.

Zwei unterschiedlich gut gealterte Ikonen der Class Of 2005 präsentieren sich uns im Anschluss: Zum einen Kele Okereke und Bloc Party, die ihr Set sehr gemächlich mit den langsameren Stücken ihres Gesamtwerks beginnen („Two More Years“ ist immer noch einer der allerbesten Songs der Briten) und sich ihre nach wie vor unwiderstehlichen Hits für die letzte halbe Stunde aufsparen; zum anderen The Wombats, bei denen einmal wieder schmerzlich deutlich wird, dass die Band ihr Pulver auf ihrem ersten und nach wie vor unheimlich amüsanten und mitreißenden Album schon verschossen hat. Eine Stunde und 15 Minuten werden extrem lang, wenn alle doch nur auf „Let’s Dance To Joy Division“ warten und alles, was nach 2008 kam, so herzlich egal ist.

Als AnnenMayKantereit damals 2016 auf der blauen Bühne standen, war das noch eine Begegnung der eher seltsamen Natur. Wer Henning, Severin, Christopher und Malte noch von ihren frühen Anfängen und unvergessenen Konzerten auf der Mini-Bühne beim Orange Blossom Special oder den kleinen Clubshows kannte und diese Momente für ihre Intimität liebte, fühlte sich seltsam distanziert, weil bei der Gigantomanie eines Großfestivals einfach keine Bindung entstehen wollte - inzwischen sind die Kölner aber längst eine feste Institution auf den ganz großen Stages, und sie haben sich selbst auch spürbar daran gewöhnt. So entsteht bei ihrer einstweiligen Werkschau auf der Forest Stage ein schöner Mix aus alter Verbundenheit und neu gewonnenem Rahmen. Sie haben es verdient und das Publikum schweigt mal andächtig, dann tanzt es wieder; die alten Hits sind wie alte Freunde und die neuen Songs bekommen live auch für mich die Intensität, die sich beim Lauschen des zweiten offiziellen Albums „Schlagschatten“ nie so recht einstellen wollte.

Nach einem kurzen Seitenblick auf Macklemore, der seinen Über-Hit „Thrift Shop“ schon recht früh im Set verschießt, insgesamt aber ein wirklich mitreißendes Konzert spielt, ist es Zeit für Mumford & Sons, die vor drei Jahren einen wunderschönen Festivalabschluss am Sonntagabend boten, als Samstagsheadliner aber keine Idealbesetzung sind. Zu ruhig und zu beschaulich singen sie ihre herrlichen Folk-Hymnen in den Abendhimmel, aber der Samstagabend gehört eigentlich der feierwilligen Partymeute, und anderthalb Stunden Wohlklang hemmen den Bewegungsdrang dann doch zu sehr. Rein von der Stimmung her sind Marcus Mumford und seine Band natürlich über jeden Zweifel erhaben, doch der Livestream auf dem Sofa hätte es zu diesem Zeitpunkt auch getan.

Für alle, die durchgehalten haben, feiert Steve Aoki auf der River Stage dann den erhofften Kindergeburtstagsabriss, und das ist keinesfalls despektierlich gemeint. Der große EDM-Act als Samstagsabschluss wird ja inzwischen zur schönen Hurricane-Tradition, und dieser Typ ist schon eine Nummer für sich. Kein Track wird länger als 2 Minuten gespielt, dann turnt Aoki schon wieder auf der anderen Seite der Bühne herum, die bombastischen Video-Installationen treiben weiter und weiter nach vorne, und zum obligatorischen „Cake Me“-Abschluss feuert der DJ Torte um Torte in die Gesichter des glücklich strahlenden Publikums. Das muss man nicht feiern, aber das ist schon sehenswert, vor allem, weil die kindliche Freude aller Beteiligten irgendwie ansteckt. Mit einem Linkin-Park-Remix zu Ehren des verblichenen Chester Bennington schafft es Steve Aoki mit seinem letzten Track sogar, nach all dem Trara für einen ernsten Moment zum Finale zu sorgen.

Wenn eine Kunstfigur wie Yung Hurn sich die Ehre gibt, muss man wenigstens kurz schauen. Der Typ ist nach wie vor ein Fragezeichen für uns, aber irgendwie amüsiert er uns auch. Wären wir nochmal 16, vielleicht würde uns das besser gefallen. Der Wiener hat, passend zum Genre (Cloud Rap), die Bühne mit überdimensionierten Wolken ausstaffiert und performt oberkörperfrei für die textsichere Crowd, und das Gesamtbild macht uns unser fortschreitendes Alter schmerzhaft bewusst. Es ist okay.

Viel sicherer und heimeliger fühlen wir uns nachvollziehbarerweise bei Bear’s Den, die dereinst 2016 dem Dauerregen zum Opfer fielen und ihre Show canceln mussten, nun aber sichtlich glücklich sind, auf der River Stage zu stehen und das auch mit Blick auf das Unwetter von vor drei Jahren eifrig kundtun. Es ist ein warmherziges, wunderbares Konzert, das die Brücke vom ursprünglichen Mumford-esken Folk des immer noch sehr schönen Debüts „Islands“ über das etwas synthesizer-lastigere Zweitwerk „Red Earth & Pouring Rain“ bis hin zum neuesten Album „So That You Might Hear Me“ kaum merklich schlägt, alles fügt sich zusammen zu einem brillanten Bandsound, der beseelte Gesichter oben und unten zurücklässt.

Da wirkt es fast schon deplatziert, das auf der selben Bühne nun direkt Mike Skinner und The Streets folgen, die ja nunmal in eine ganz andere Kerbe schlagen. Es ist schön, unseren Lieblings-Geezer wieder zurück zu haben; im Februar spielte er mit seiner unglaublich tighten Liveband ein wirklich extrem gutes Konzert in der Großen Freiheit 36 in Hamburg; hier beim Hurricane ist das Publikum, das eben nicht ausschließlich aus Fans besteht, die sich eine Rückkehr Skinners herbeigesehnt haben, deutlich schwerer zu knacken. Mike Skinner zieht alle Register, möchte jeden zum Tanzen zwingen, beschwört angesichts der Hitze immer wieder, die Leute werden schon nicht dehydrieren; er geht auf Tuchfühlung, unterbricht seine nach wie vor gestochen scharfen Cockney-Lyrics immer wieder mit Ansprachen an das Publikum, was aber den Fluss heute tendenziell stört und scheinbar selbst die Band manchmal etwas überfordert. Wenn man ehrlich ist, kommen The Streets in ihrem Gesamtwerk auch nur auf zwei richtig gute Platten (die ersten beiden halt), und die Hits von damals kann man immer noch mitsprechen, allein für „Fit But You Know It“ lohnt sich das Stehen hier, aber insgesamt scheint Mike Skinner im Club etwas besser aufgehoben als auf der Festivalbühne.

Im Anschluss holen Wolfmother auf gewohnt brachial-energetische Weise den Stoner- und Hardrock der 70er wieder ins Jetzt. Lockenkopf Andrew Stockdale ist die einzige Konstante in der bewegten Geschichte der Band, aber neben seinem Charisma hat auch kein anderes Gesicht Platz. Ein sehr starker, mitreißender Auftritt. Nicht soundverwandt, aber ebenfalls großartig gerät das Wiedersehen mit Interpol, wie erwartet edel und elegisch, dezent tanzbar und ein wunderbarer Wegbereiter für The Cure, die alten Helden, die tatsächlich noch eine beeindruckende Zahl an Menschen vor die River Stage ziehen. Ich gebe zu, damit habe ich nicht gerechnet; bei dem vorherrschenden Festival-Hedonismus der Hurricane-Gänger von heute sah ich kaum Platz für diese zwar unbestritten grandiose und einflussreiche, aber eben auch deutlich in die Jahre gekommene Band - sowohl hinsichtlich ihres Alters als auch der Strahlkraft ihres Schaffens. Doch die ikonische Aura von Robert Smith ist ungebrochen und lässt für die gesamte Spielzeit von immerhin 2 Stunden und 15 Minuten nicht ab; das verdient ganz viel Respekt und Bewunderung, und bei all der nach wie vor überdimensionalen Größe von Alben wie „Disintegration“ oder dem Debüt „Three Imaginary Boys“, die doch merklich auch bei der interessierten Indie-Jugend von heute ihre Spuren hinterlassen haben, ist natürlich auch Platz für die Pop-Hits von The Cure; „Friday I’m In Love“ kennen dann auch die, die mit der Band sonst nichts anfangen können.

Es ist dann an Dave Grohl höchstpersönlich, das Hurricane Festival 2019 nach Hause zu bringen - seine Foo Fighters sind die letzte Band des Festivals und damit nochmal ein echter Hochkaräter zum Abschluss. Lustigerweise bewahrheitet sich wieder einmal die These, Dave Grohls Stimme leide bei Live-Performances doch unter einem nicht gerade beeindruckend großen Spektrum; gerade in die Höhen kommt er nicht glatt, aber das macht er mit einer ungeheuer energiereichen Performance wieder wett; er ist eben einer der wenigen Rockstar-Typen, die diese Bezeichnung noch verdienen; die Foo Fighters reihen Hit an Hit, es ist die große Rockshow, ein würdiges Festivalfinale, ob man sich die Platten nun zuhause anhören würde oder nicht.

Nachdem wir im vergangenen Jahr mindestens einmal zu häufig zwischen die Fronten marodierender Ballermann-Touristen geraten waren, fällt unser Stimmungsfazit 2019 wieder deutlich milder aus. Es mag daran gelegen haben, dass man den sturzbetrunkenen Party-Crews durch die Organisation des Zeitplans in diesem Jahr deutlich besser hatte aus dem Weg gehen können; vielleicht lag es aber auch an der alles überstrahlenden herrlichen Sonne, die einfach auf jedes Gesicht ein Lächeln legte und Endorphine frei setzte, die nun nicht mehr ausschließlich vom Alkohol kommen mussten. Jeder so wie er will, das war ohnehin klar, und bei einem Groß-Event wie beim Hurricane geht es freilich für immens viele um Vorschlaghammer-Eskapismus, aber wer am lautesten grölt, hat eben auch nicht zwangsläufig Recht. Wir haben uns sehr wohl gefühlt.

Die Quintessenz eines solchen Wochenendes war trotz aller Gigantomanie ein Gefühl, für das man nun einmal auf Festivals fährt: Gute Konzerte, auch welche, denen wir sonst wohl nicht beigewohnt hätten. Friedliche Menschen. Tatsächlich einmal mehr sehr leckeres Essen. Sonne, Luft, Musik. So darf es gerne immer sein. Vielleicht haben wir ja Glück und Scheeßel holt 2020 wieder die Sonne raus. Es ist einfach alles schöner, wenn es warm ist. Und Seeed, die bereits als erster Headliner fürs nächste Hurricane/Southside-Wochenende bestätigt sind, dürften das ebenfalls sehr begrüßen.



Text und Fotos: Kristof Beuthner