Rezensionen 06.09.2018

Ruston Kelly - Dying Star [Rounder Records / Universal]

Country! Kein Genre, das außerhalb seiner amerikanischen Heimat popkulturell besonders im Fokus stünde. Spannender wird’s, wenn ein Ruston Kelly den angestaubten Stories von Highways, Diners und der Wahrheit, die auf dem Grund einer guten Flasche liegt, durch einnehmenden Songwriter-Pop mehr Breite gibt.

Dann nämlich spielt die Musik schon in einer ganz anderen Liga - im Fall von Ruston Kelly in der des erdig dargebrachten, aber im genau richtigen Moment zartfühlenden Folkpop, wie ihn Barden wie William Fitzsimmons oder Donovan Woods zelebrieren. Das hat dann weit mehr internationale Klasse und ist, wenn’s richtig gemacht wird, durchaus in der Lage, die Fanbase auch außerhalb von Nashville, Tennessee, wachsen zu lassen. Nashville! Klar kommt Ruston Kelly aus Nashville, so viel Klischee darf gerne sein, und natürlich verzichtet der Gute auch auf den Cowboy-Hut nicht. Dass er diesen styletechnisch gerne mit einem Slayer-Shirt paart, sagt nicht das Geringste über seinen Sound, und auch die Selbsteinordnung zwischen Townes van Zandt und Kurt Cobain führt eher in die Irre. Der Ehemann von Country-Sängerin Kacey Musgraves bietet seine Songs im Grundgerüst tatsächlich sehr traditionell dar - zur akustischen Gitarre, flankiert von 12 String, E-Gitarre, Rhodes, Pedal Steel (die traditionsgerecht von Kellys Vater Tim bedient wird), Bass und Banjo sowie Keys und Percussions singt Ruston Kelly von einer Phase in seinem Leben, die von Selbstzerstörung und Überwindung geprägt war, dunkel und resignativ. Entsprechend klingt „Dying Star“ auch nicht nach fröhlichen Roadmovies und Squaredance-Saufgelagen, sondern erinnert gerade in der Melodieführung vor allem immer wieder an die - ebenfalls durchaus dem amerikanischen Duktus-Traditionalismus bewussten - Counting Crows. Songs wie das tolle „Mockingbird“ oder „Big Brown Bus“ kann man sich sehr gut mit Adam Duritz‘ einnehmenden Vocals vorstellen. Doch Ruston Kelly braucht sich mit seiner zwischen warm-weichem Timbre und rostigem Kratzen changierenden Stimme dahinter nicht verstecken; er führt Weisen wie „Faceplant“ oder „Jericho“ auf diese Weise in edle Roo Panes- und Tim Buckley-Gefilde. Auf dem stärksten Stück der Platte, das unglücklicherweise schon an dritter Stelle steht, „Son Of A Highway Daughter“, beginnt Kelly sogar ganz und gar ohne instrumentale Begleitung und unterlegt seine kathartische Geschichte vom Wunsch nach Ankommen bei sich selbst mit Autotune-Background-Gesängen. Das geht enorm tief - und wenn der Song zur Mitte hin dann doch ausbricht, lässt sich die nahende Erlösung wahrhaftig mitfühlen.

„Dying Star“ ist ein wirklich starkes erstes Album, das klangliche Traditionstreue mit edler Songwriter-Kunst in Einklang bringt, immer sich selbst im Blick hat und nie seine mögliche Wirkungskraft - stets hat man das Gefühl, Ruston Kelly habe dieses Album gebraucht, um seiner Seele Luft zu machen, und nicht so sehr, um dringend Zuhörer zu finden. Das wird er sicherlich trotzdem vorhaben und das ist ja auch gut so. Und gelingen dürfte ihm das auch - die hohe Qualität dieser Platte, die ganz und gar ohne Füllmaterial auskommt, spricht für sich.


Text: Kristof Beuthner