Artikel 01.06.2023

Nur noch finden. Nicht mehr suchen. Nillson beim Orange Blossom Special 2023.

Die Welt ist schon wieder an und das OBS ist aus. Dass das immer so schnell gehen muss. Und auch dieses Jahr, habe ich das Gefühl, ist es förmlich gerauscht, an mir vorbei und durch mich durch, und hat mich durchgewirbelt, dieses Orange Blossom Special, dieses zuhausigste Festival, diese wundervolle, reparierende, aufbauende, kraftspendende Entität. Die Sonne war mit dabei und hat alles gegeben, was sie konnte. Das kann man ihr nicht hoch genug anrechnen. Sie hat eines der schönsten Wochenenden im Jahr (wenn nicht das schönste) in strahlendes Licht getaucht, als wollte sie sagen: Ich meine es gut mit euch. Es ist schön, dass ihr zusammen seid, ihr alle, da vor und hinter und auf der Bühne. Strahlt so wie ich! Ihr habt es verdient!

Aber es ist ja irgendwie auch ein besonderes OBS. Denn es gibt endlich die verspätete Geburtstagsfeier, die eigentlich schon 2022 hätte stattfinden sollen, was sie nicht tat, ihr wisst ja alle warum. Und auch wenn ours truly Rembert Stiewe die Ehrentagsbezüge gewohnt bescheiden hält, sind sie natürlich da. Wenn du ein halbes Jahrhundert lang machst, was du erst nur am liebsten gemacht hast und inzwischen vielleicht sogar am besten kannst, darfst du schon ein bisschen die retrospektive Brille aufsetzen und das Nähkästchen öffnen. Von der vielzitierten Schnapsidee ohne auch nur das annäherndste Festival-Know-how im Jahr 1997 bis zur Erschaffung eines Ortes, der für 3.500 Menschen im Jahr so viele Sehnsüchte füttert und Wunden heilt, ist immerhin eine ganze Menge Wasser die Weser heruntergeflossen.

Doch da verweise ich viel lieber nochmal auf die dreistündige, Podcast-eske Vorbereitungsshow auf Radio Oldenburg 1, in der Rembert mit dem guten Torsten Folge (mal googeln bitte!) ein ganz wunderbares Telefon-Interview führt, aus dem einfach jedes OBS-historienrelevante Wort eure Neugier befriedigen wird, wie das alles losging und war damals (die drei Stunden muss man sich echt nehmen, am Stück und überhaupt). Ich bleibe im Heute und gehe all in mit Kerzen im Kopf und Kuchen im Herzen. 25 Jahre Orange Blossom Special, und inzwischen habe ich auch schon viele miterlebt. Das macht mich erstaunlicherweise nicht sentimental. Es macht mich dankbar.

Die Poetry-Slammerin Sarah Lau hat diesem Herzensfestival zu Ehren einen Text geschrieben, der im letzten Trailer Verwendung fand. Wenn man den gesehen hat, muss man es eigentlich unmöglich finden, noch eigene Worte aufzuschreiben. Zumindest zum Allgemeinen. Jeder einzelne Satz eine Wahrhaftigkeit. Soll ich zitieren? Denn vom ersten Moment an, in dem ich das Gelände betrete, fallen mir immer wieder neue Zeilen daraus ein, und in mir drin nicke ich still. „OBS heißt Urlaub“ ist so eine. Ich bin dieses Jahr aus Gründen, zu denen ich noch komme, nicht zu 100% entspannt als ich ins Auto in Richtung Beverungen steige. Die Wände des Tunnels verengen sich und meine Gedanken rasen. Ist an alles gedacht? Wird das alles gut? Und so richtig geht das auch noch nicht weg, als ich mit Blick auf die Weser und das Panorama erstmal kurz sitze und ankomme und nebenbei ungefähr das halbe Camp schon im Vorbeigehen kennenlerne. Aber als ich um die Ecke Richtung Kasse schlendere, ist das Strahlen da. Wie hergezaubert. Und eine Leichtigkeit erfüllt mich. Jetzt ist alles richtig so wie es ist. DAS ist das wahre Ankommen. Die erste Begrüßungsrunde soll eine kurze werden. Als ob das auf dem Orange Blossom Special möglich wäre. „Raus aus dem Alltag, rein in die Musik, rein in den Genuss, in den Tanz, in das Glück“. You’re at home, Baby, finally again.

„OBS heißt Familie, heißt willkommen sein und bei der Hand genommen werden. Egal wie neu man ist, egal ob man sich auskennt, egal ob man sich kennt, hier bist du eine*r von uns, eine*r vom bunten Haufen.“ Du siehst sie alle wieder jedes Jahr. Und du weißt es. Denn das OBS ist und bleibt klein und fein, es ist ein weiteres Mal nicht ganz ausverkauft, das ist schade und falsch, denn was diese Menschen, die statt dessen was anderes machen, an Zusammenhalt und seelisch aneinander Aufrichten verpassen, werden die nicht in Gänze verstehen können wenn sie nicht dabei waren. Sie können nur neugierig werden und nächstes Jahr mitkommen. Aber du triffst dich an diesem Ort, teils sogar nur das eine Mal im Jahr, und die Umarmungen hören gar nicht auf. Wer zum ersten Mal da ist, spürt den Vibe schnell und hat ihn spätestens am nächsten Abend so sehr aufgenommen, dass er Pfingsten 2024 jetzt auch was vor hat. Wie freundlich man an diesem Ort zueinander ist, erfüllt mich immer wieder mit so viel Glück, weil die Welt auch anders sein kann und wir das alle wissen.

„Das ist geballte Liebe auf deinem Fleck“. Wo das in diesem Jahr übrigens besonders hervorsticht, für alle Augen sichtbar, ist in dieser einzigartigen Beziehung zwischen Rembert und seinem Team. Wie grandios ist das bitte, dass eine Band aus Crewmitgliedern am Sonntag auf einmal auf der Mini-Bühne steht? Und mit Dan Mangans „Robots need love, too“ einen der absolut magischsten Orange Blossom Special-Momente of all time zurück in den Glitterhouse-Garten bringt? Das ist aber noch gar nichts gegen den Plan, der für den wohl rührendsten Tränenfluss des Wochenendes sorgt. Bei der traditionellen Versteigerung eines von allen Künstler*innen und Bands signierten Gemäldes für einen guten Zweck am Festivalsonntag ist Rembert nämlich bisher immer leer ausgegangen. Das ändert sich in diesem Jahr, weil seine Crew zusammengeschmissen hat, einen Strohmann mitbieten lässt und dem völlig entgeisterten Chef das Jubiläumsbild überreicht. Das ist einfach insofern so besonders und wunderbar, weil du halt spürst, mit wie viel Liebe auf diesem Festival zusammen gearbeitet wird, jeder auch hinter der Bühne seinen Platz, seine Wichtigkeit und Relevanz hat, einsatztechnisch wie menschlich, und dass da was an den Mann zurückgegeben werden will, der sich das ausgedacht hat; weil das OBS auch für diese Menschen das besonderste Wochenende im Jahr bedeutet. Ja, verdammt, das ist wirklich geballte Liebe auf einem Fleck.

Als kleine Insider-Info sei noch erzählt, dass die obligatorischen Aftershow-Parties im Stadtkrug (denen ich leider ferngeblieben bin) zumindest für die Crew am Sonntagabend seit letztem Jahr mit einem plötzlich sehr ausgedehnten Backstage-Afterglow einen würdígen Ersatz gefunden haben. Waren 2022 noch Tom Allan & The Strangest plötzlich mit einer Gitarre am Start, steht dieses Jahr plötzlich die Boombox da und alle, die sich mit wenig Schlaf und anstrengenden Schichten das Wochenende zurechtgebastelt haben, feiern gemeinsam zu ihren Lieblingshits. Wenn ich über Verbundenheit noch was lernen musste, habe ich es dieses Jahr gelernt.

„Hier geht’s darum […] sich selbst nicht so wichtig zu nehmen, aber wichtig genommen zu werden.“ Egal, wo du langläufst, egal, wo du gerade anstehst, überall ist Platz für ein Lächeln, ein freundliches Wort oder einen kurzen Schnack. Du wirst in der Crowd nicht rücksichtslos weggedrängelt oder es wird sich unachtsam vor dich gestellt wenn du kleiner bist und es deine Sicht auf die Bühne beeinträchtigen könnte von der der Kronleuchter strahlt. Wenn ein guter Freund von einer außergewöhnlich minimalen Arschlochdichte spricht, dann kann man das mit Goldstift unterstreichen. So kenne ich das von keinem anderen meiner Herzensfestivals sonst. Es ist egal wie du aussiehst, es ist auch egal, wie alt du bist, wo du herkommst oder was du im normalen Leben machst: Du bist doch aus dem gleichen Grund hier. Und damit bist du einer von den Guten. Wenn man das weiß, lässt es sich viel leichter mit Menschen aushalten. Wäre es doch immer so einfach. Und das bringt mich fast ganz unweigerlich zum anderen großen, wichtigen Thema des Wochenendes: Der Musik.

„OBS heißt Musik richtig hören und anständig wertschätzen“. Die bereits in vielen meiner Nachlesen gefeierte Bereitschaft dazu existiert ungebrochen. Egal, ob man dafür früh raus muss und ob die Nacht kurz war. Um Schlag 11:30 muss immer Musik da sein. Auf den Bühnen oder kreuz und quer bei den Walking Acts oder während man sich im wieder mal schön vielseitig aufgestellten Food Court mit indischen Currys, dem Saté Burger oder der obligatorischen Mini-Calzone für die weiteren Aufgaben des Tages stärkt, mit Blick auf die im letzten Jahr – aus Corona-Gründen zur Entzerrung der Besuchendenmenge – installierte Großbildleinwand. Und das beeindruckt mal wieder auch die vielen Bands und Künstler*innen, die das von anderen Festivals einfach nicht kennen, weil es da eben einfach meistens anders ist. Wenn du beim OBS spielst, dann wird dir auch zugehört. So einfach ist das. Der Grund? „Wenn Rembert die bucht, dann sind die auch gut. Zumindest sind sie dann hörenswert“. Was für ein Qualitätssiegel, Remberts Geschmack und Gespür. Größere Komplimente kannst du einem Veranstalter ja gar nicht machen. Und es lohnt sich halt auch, denn der Mix aus Neuentdeckungen, OBS-Veteranen und Szenegrößen ist mal wieder exquisit geraten.

Mit Get Jealous und Philine Sonny stehen gleich am Freitag zwei Bands bzw. Künstlerinnen auf der Bühne, die man in diesem Festivalsommer noch ganz oft zu sehen bekommen wird; die einen mit mitreißend-ass-kicking Garage-Pop-Punk und einem fulminanten Festivalauftakt, die andere mit introspektivem, aber doch sonnenklar-fließendem Songwriter-Folk. Die ukrainische Indie-Band Love’n’Joy gehört zu den Gewinnern des Eröffnungstages, ihr mit Verve gespielter Mix aus Britpop und Garage- bzw. Psych Rock begeistert, wird zurecht umjubelt und bekommt damit wohltuende Zuwendung in brisanten Zeiten. Odd Couple, aus meiner ostfriesischen Heimat schon seit langem in die Hauptstadt ausgewandert, reißen erwartungsgemäß die Bühne ab. Auf deren kleiner Schwester am anderen Ende des Geländes spielen Tom Allan & The Strangest-Drummer Nico Stallmann mit Julia Zech und Sarah Esser als Lightning Jules elegischen Dreampop. Und einen Gisbert zu Knyphausen als Tagesheadliner zu wissen ist ohnehin immer eine erhabene Angelegenheit; ihn zu sehen ist immer schön, vor allem hier an diesem Ort, wo auch für ihn einst alles einen Anfang nahm, irgendwie. Heute ist er mit seiner Band Husten hier und das funktioniert nachts im Dunkeln ganz ausgezeichnet, wenn es auch die Größe und berührende Tiefe seiner Solo-Songs nie ganz erreicht, aber das eine ist halt das eine und das andere ist das andere, und Husten bringen uns heute mit einem guten Gefühl ins Bett.

Der Samstag sollte eigentlich mit fein ziseliertem Kammer-Pop von Malva beginnen, doch die ist leider krank geworden. Dafür springen Loki aus Paderborn ein und sind mit ihrem herrlich hymnischen, breit aufgestellten Folk-Pop für mich direkt eine der Entdeckungen des Wochenendes. Mit acht Leuten auf der Bühne, mit Streichern und Bläsern und auch mit ein wenig Elektronik klingt das wirklich extrem reif und von Weltformat, und ich möchte bitte auf der Nachhausefahrt am Montag die ganze Zeit dieser Band zuhören. Aber dass ich mich förmlich dazu zwingen muss und will, immer wieder ein Auge und ein Ohr zu riskieren, liegt an dem, was gerade nebenbei passiert und warum mich die Tunneligkeit am Anreisetag so fest im Griff hatte.

Denn inzwischen ist meine eigene Band gelandet und 44 kleine bis junge Menschen sind aus dem Bus gestiegen, und die sind alle ziemlich excited auf das, was da wohl gleich um sie herum passieren wird. Für mich ist der zweite Auftritt meiner Tiny Wolves auf dem Orange Blossom Special insofern ein ganz besonderer, weil hier 2019 alles für uns begonnen hat und dieses Projekt ohne dieses Festival einfach nie das wäre was es heute ist. Weil Rembert an das Konzept geglaubt hat, dass da eben nicht einfach ein „putziger Kinderchor“ „niedliche Liedchen“ singt, sondern dass möglicherweise eine ungeahnte Tiefe darin steckt, wenn „erwachsene“ Songs aus kindlicher Sicht interpretiert werden, von Freunden für Freunde – und den Menschen das vielleicht sogar gefallen könnte. Und er uns als Walking Act eingeladen hat und wir zwei Songs unterm Kronleuchter spielen durften und das so besonders war und wir das gar nicht alleine so fanden. Und da jetzt ein veritables Chor-Band-Projekt daraus geworden ist, das man in den Festivalsommern dieses Landes seitdem auf so einigen Plakaten findet. Was ja wirklich alles Wahnsinn ist wenn man mal drüber nachdenkt. Vier aus der Band waren schon 2019 dabei und sind den ganzen Weg bis heute mit mir gegangen, sie schauen also nochmal mit einem anderen Strahlen auf diesen Tag als der (nicht weniger glückliche) Rest. Da bist du 12 Jahre alt und trittst heute schon zum zweiten Mal auf dem Orange Blossom Special auf. Es ist doch irgendwie auch verrückt.

Heute dürfen wir ganze 40 Minuten spielen und das Set fühlt sich für alle, auch für unseren Cajon-Boy Tammo, trotz bis ganz hinten gefüllten Reihen an wie im Wohnzimmer, organisch und richtig, und die Atmosphäre überträgt sich auf jeden einzelnen, der da steht und „Ich will da sein wenn es passiert“ singt. Und wieder liegt diese andächtige Stille über dem Glitterhouse-Garten und wieder gibt es Tränen vor und auf der Bühne und alles ist einfach nur schön. Ein Tag zum Einrahmen und niemals vergessen. „OBS heißt, keine Unterschiede zu machen […], OBS heißt, du darfst sein wer du bist und wie du bist.“ Und wenn du Kind bist, wird dir hier genauso zugehört wie einer Rockband aus Amerika. Dieses Gefühl von „Das wann ist genau jetzt und das wo ist genau hier“ ist unbeschreiblich für uns alle. Am Nachmittag werden Shirts bemalt und es wird die Fotobox leer fotografiert, es gibt Mitmachzirkus-Spaß und ein Abschlussfoto vorm Wandgemälde, und dann geht es, überwältigt von Sonne und Eindrücken, wieder nach Hause, begleitet von winkenden Händen und in die Luft gehaltenen Herzen. Ich kann gar nicht sagen, wie dankbar ich bin.

Zwischendurch versuche ich natürlich Musik zu hören. Und freue mich über die Homies von Deniz & Ove, deren Konzept genau in die andere Richtung läuft als unseres („Erwachsenenmusik von Kindern“ vs. „Kindermusik von Erwachsenen“), aber bei niemandem den ich kenne funktioniert das besser, aufrichtiger und authentischer. Zwei Sets auf der Minibühne gibt es, an denen klar spürbar nicht nur Kinder Spaß haben, und ich find’s genial. A propos Minibühne: Auf der spielt einer der Gewinner des heutigen Tages, der kanadische, brasilianischstämmige Wahlberliner AfroDiziac, und das ist der pure Abriss, irgendwo zwischen Psychedelic, Sixties Rock und Grunge, explosiv und in jeder Hinsicht spektakulär, und ein unfassbar guter Typ ist das auch noch. Ich lege mich fest: Den hat man beim Orange Blossom Special nicht zum letzten Mal genießen dürfen.

Die Bands auf der Hauptbühne sind auch alle klasse, wenn sie auch im Trubel der eigenen Umtriebigkeit ein wenig in den Hintergrund rücken. Da wären Kratzen mit ihrem hypnotischen Krautrock, die feinen Palila mit ihrem herrlich 90s-referenziellen Indie Rock (für mich irgendwo zwischen frühen Nada Surf und frühen Weezer mit einer Prise Pixies), die absolut grandios groovenden Schweizer von Saitün mit orientalischen Einflüssen auf tanzbarem Indierock, von denen ich gerne viel mehr gesehen hätte (ich hoffe, die Chance kommt!). Und natürlich die wundervollen Wrest aus Schottland, die mit ihrem intensiven Breitwand-Pop irgendwo zwischen frühen Coldplay, We Were Promised Jetpacks und den späten R.E.M. zu verorten sind und die, hätten sie zu einem späteren Zeitpunkt gespielt, für mich fraglos eins der Wochenend-Highlights dargestellt hätten.

Deniz Jaspersen von Deniz & Ove gibt sich übrigens heute gleich nochmal die Ehre und zelebriert die (vorläufige?) Reunion seiner 00er-Referenzband Herrenmagazin, die sich mir zu ihrer Blütezeit nie so ganz erschlossen hat, die aber genau das richtige sind für mich, um auch als Zuschauer im Festivaltag anzukommen. Manchmal braucht man eine Band auch einfach erst ein paar Jahre später und hat es vorher einfach nicht besser gewusst. Das Postpunk-Noise-Gewitter von Whispering Sons ist ohne Gleichen großartig, die Intensität ist mit den Händen greifbar; das ist wieder so eine dieser Bands, die man sich im Glitterhouse-Garten erst nicht so vorstellen kann weil sie so anders ist, aber wenn sie da ist, ergibt sie uneingeschränkt Sinn. Einer der besten Auftritte des Wochenendes. Und The Haunted Youth aus Belgien beenden den Tag mit herrlich mäanderndem Shoegaze à la frühe MGMT und Slowdive, stilvoller kann man das kaum machen.

Der Surprise Act, dieses Jahr Die Nerven, kriegt mich einfach leider nicht, Renommée und Lorbeerkränze hin oder her, aber dass sie ihr Set mit „What’s Love Got To Do With It“ der jüngst verstorbenen Tina Turner beenden, ist ein ziemlich starker Move. Hotel Rimini und The Deslondes verpasse ich leider, Stefan Honigs neues Projekt Accidental Bird auf der Minibühne spielt sehr sympathischen hymnischen Indiepop und Fire Horse bedienen die Liebe des OBS-Publikums zu lärmendem Seventies-Heavy-Rock, den sie mit einer guten Portion Stoner anreichern. Lera Lynn serviert eine wunderschöne Mischung aus Indie-Folk und Dark Country, da mag man ganz in Ruhe zuschauen und schwelgen. Und dieses Innehalten geht insofern gut klar, da man seine Kraft für die Iren von Thumper braucht, die mit zwei Schlagzeugern und einer Rampensau von Frontmann ungebremst eimervoll schmackhafteste Rockband-Energie im Glittergarten ausschütten.

Natürlich ist der längst überfällige OBS-Auftritt von Thees Uhlmann für nicht wenige (inklusive mir) eines der Highlights des Sonntags. Das ist natürlich einer, zu dem man nicht viel sagen muss, weil seine Fußabdrücke schon so lange so tiefe Spuren hinterlassen haben, aber immer wieder muss ich feststellen, wie viel mehr präsent und zufrieden er mit seiner eigenen Band (die übrigens unglaublich tight ist, ich bin immer wieder erstaunt) wirkt, auch wenn ich sehe, dass seine wie gewohnt wortreichen Ansagen inhaltlich nicht immer für alle den richtigen Ton treffen („Kinder gehören nicht auf ein Rockkonzert“, den High Five für die Kleinen vor der Bühne gibt es trotzdem) und man sein exorbitantes Sendungsbewusstsein auch hier und da als Hybris und Selbstverliebtheit interpretiert. Nichtsdestotrotz bleibt seine "Es gibt keine Scham, es gibt keine Schuld"-Ansage für Menschen, die an Depressionen leiden, wichtig und kraftvoll. Weil seine Solo-Songs mich seit jeher nicht so catchen, freue ich mich umso mehr über drei Tomte-Lieder und genieße die Show trotzdem.

A.S. Fanning ist der würdige Abschluss, schön angedunkelter, schwelgerischer Folk Noir, düster aber zeitgleich hoffnungsspendend und damit genau richtig in der langsam aufkommenden Stimmung verortet, dass das Wochenende wohl bald zu Ende sein wird, aber das Gefühl bleiben wird und die Vorfreude aufs nächste Jahr sich schon morgen nach dem Aufstehen direkt wieder einstellt. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie dieser Mann nicht total abräumen sollte bei eurem OBS-Publikum“ wurde Rembert im Vorfeld gesagt, und da kann nicht eigentlich nur noch sagen: Recht gehabt.

„OBS heißt drei Tage lang auf den schlechtesten Witz des Jahres zu warten und dann ‚Gute Nacht, bis nächstes Jahr‘ zu sagen.“ Der Witz ist in diesem Jahr wirklich nicht gut. Die vielen „Gute Nacht, bis nächstes Jahr“ um mich herum sind umso inniger und herzlicher, zumindest habe ich das Gefühl als auch ich noch einmal tief durchatme. Viele sehen sich jetzt ein Jahr lang gar nicht. Das ist irgendwie wieder seltsam, dass man sich so verbunden fühlt und das nur für drei Tage ausleben kann. Aber man weiß ja auch, dass keine dieser besonderen Freundschaften hier an Abstinenz zerbricht. Das wissen ja alle. Absence makes the heart grow fonder.

Wenn in einem Jahr zu Pfingsten das Auto beladen wird und allerspätestens dann wenn man durch die Berglandschaft fährt und im Fenster der Raps leuchtet, bis man endlich wieder in den Grünen Weg in Beverungen einbiegen kann, wird alles wieder da sein. Das geht nicht einfach weg, das hört nicht einfach auf, und man wird wiederkommen und wieder finden, nicht mehr suchen. Umarmungen, Gespräche, die Hand auf der Schulter, Kaltgetränke, Verstandenheit, selbstgewählte in den Schoß gefallene Familie. Jedes einzelne Wort aus Sarah Laus Text ist die Wahrheit und jedes einzelne doch nur ein Versuch, zu beschreiben, was man nicht beschreiben kann wenn man es nicht selbst erlebt.

Also noch ein letztes Mal, heben wir das Glas, stoßen wir an auf 25 Jahre (bzw. Ausgaben) Orange Blossom Special – und freuen uns mit vorfreudig klopfendem Herzen auf die nächsten 25!

 

Text: Kristof Beuthner