Artikel 01.10.2018

Nillson-Throwback! Die allerbesten Platten von 2008-2018: Platz 60 bis 46

In meinen zehn Nillson-Jahren hat sich eine ganz schöne Menge an Lieblingsplatten angesammelt. Die möchte ich gerne in den nächsten Wochen mit euch teilen: Lest hier den siebten Teil über meine 151 besten Alben von 2008 bis 2018.

Ich als Jahrescharts-Spezi war in den letzten zehn Jahren verantwortlich dafür, den Autoren auf die Füße zu treten um eine standfeste Bestenliste zusammenzutragen, auszuwerten und in Rangfolge zu bringen. Das hat mir schon Spaß gemacht, da war ich noch gar kein Teil des Nillson-Teams. Was liegt da näher als die 151 besten Scheiben (plus eine außer Konkurrenz), die mir in der vergangenen Dekade zu Ohren gekommen sind, nun für euch zu ranken?


Ihr findet hier den nächsten Teil einer Liste, die komplett subjektiv und ohne Allgemeinheitsanspruch gilt. So gesehen werden mit Sicherheit einige Platten fehlen, die ihr als einflussreicher, größer oder brillanter erachtet. Dafür könnt ihr euch mit mir erinnern, verlorene und vergessene Schätze bergen und eine kleine Zeitreise unternehmen. Geht los! Lest hier und heute die siebte von zehn Runden und gebt euch die Plätze von 60 bis 46.

Platz 60: Sufjan Stevens - Carrie & Lowell (2015)

„Carrie & Lowell“ war das zweite große Folk-Familien-Album des Jahres 2015, gewann den Direktvergleich gegen Sun Kil Moons „Benji“ aber spielerisch leicht. Der große Experimental-Folker Stevens legte mit dieser Platte seine Seele wieder zu sehr sparsamen Arrangements offen, singt über das schlechte Verhältnis zu seiner Mutter Carrie, die ihn als Kind einmal beim Einkaufen vergessen hat, klagt aber nicht an, sondern reflektiert durchdacht, so als würde man nach Jahren noch einmal anfangen, Tagebuch zu schreiben und all die Zwischenzeit aufarbeiten. Das Ganze präsentierte Stevens zu nicht mehr als einer Gitarre und gelegentlichen, minimalen elektronischen Verfremdungen, und gerade wegen dieser puristischen Herangehensweise frästen sich Songs wie „The Only Thing“ oder „Death With Dignity“ umso tiefer ins Herz.

Platz 59: The xx - xx (2009)

Es bleibt dabei, The xx gehören zu den unwahrscheinlichsten Hypes der letzten Jahre - weil eben scheinbar so wenig passierte im Sound der Londoner, nur ganz sanft pulsierend, ganz leicht mäanderten die Gitarrenläufe, hier und da schlich sich ein Beat ein. Die innere Kühle von Romy Madlin Croft und Jamie XX äußerte sich in faszinierender Apathie, ihr entrückter Wechselgesang auf Stücken wie „Crystalized“, „Islands“ oder „Infinity“ funktionierte als Pop gewordene Katharsis. Doch mit diesem am besten als Spuk-Pop kategorisierbaren Meisterstück trafen The xx einen Nerv; es war die stille Gegenthese zum zappeligen New Wave und dem brachialen Rave Rock der Vorjahre und brachte der Band Headliner-Slots auf den großen Festivals ein, wo ich mit Freude beobachten konnte, dass auf der Bühne ähnlich wenig passierte wie in dieser grandiosen Musik. Kein Megaphone-Hype - dennoch ein überaus gerechtfertigter.

Platz 58: Hammock - Mysterium (2017)

Über die Relativität des Lebens und das langsame Hinübergleiten auf die andere Seite hatten Hammock schon auf „Everything & Nothing“ fabuliert, und so gesehen ist „Mysterium“ eine konsequente und unglaublich schmerzhafte Fortsetzung: Der junge Clark Kern war für Hammocks Marc Byrd wie ein eigener Sohn, bis eine aggressive Krebsform sein kleines Leben viel zu früh beendete. Die Aufarbeitung dieses unbeschreiblichen Verlusts begehen Hammock mit einem gespenstischen Requiem, das mit Postrock nun überhaupt nichts mehr zu tun hat. Die Chöre klagen, die Streicher legen eine Hand aufs Herz, die Ambient-Flächen sind ein weltfernes Schweben; es ist eine andächtige Ruhe, die über diesem Album liegt, das eine Totenwache ist und somit schwere Kost, aber dabei so ungemein tröstlich. Man spürt: Es war dringend nötig, dieses Album zu schreiben.

Platz 57: Tiny Ruins - Some Were Meant For Sea (2012)

Holly Fulbrook ist im Jahr 2012 eben nicht die nächste Leslie Feist oder Norah Jones, auch wenn ihr Debüt, für dessen Vinyl-Release die famosen Luxemburger von Own Records verantwortlich zeichnen, eine ebenso umarmende Ruhe und Leichtigkeit ausstrahlt, jedoch weitaus puristischer im Folk verwurzelt ist. Fulbrooks ehrliche, innige Stimme liegt wie ein Samtteppich über den sehr reduziert instrumentierten Songs, sie singt Melodien der guten Nick Drake- oder Leonard Cohen-Schule und erreicht deren Intensität fast beiläufig. Dass die Platte live eingespielt wurde, hört man ihr in ihrer Direktheit und Nahbarkeit an; Stücke wie „Bird In The Thyme“ oder „Running Through The Night“ sind ein zeitloser Hochgenuss großer Folk-Versiertheit, und mit Holly Fulbrook hat man eine neue beste Freundin gefunden, in Tiny Ruins eine neue Lieblingsband.

Platz 56: MIT - Nanonotes (2010)

Schon das Debüt der Hamburger, „Coda“, war eines der heimlich besten Alben des Jahres 2008 gewesen. „Nanonotes“, das eigentlich schwierige zweite Album, machte dann aber tatsächlich alles noch ein bißchen besser. Die Beats treibend, die Lyrics sperrig - diese Band machte es dem Hörer mit ihrem sehr clubtauglichen Elektropop alles andere als leicht, aber die Tanzbarkeit siegte ganz klar vor dem genüsslich zelebrierten, kunstvollen Gaga, den die Band in ihren Texten unterbrachte („Der Hai hat Hightech-Hammerflossen“, um nur ein Beispiel zu nennen). Einflüsse von Kraftwerk und Minimal Techno ließen „Nanonotes“ auch als Geschichtsstunde für elektronische Musik und flammende Hommage an die Ursprünge analog produzierter Tanzmusik lesen, was sich auch in den mitreißenden Live-Auftritten des Trios niederschlug. Eine immer noch starke Platte.

Platz 55: Bobby & Blumm - Everybody Loves (2008)

Die Langsamkeit als Methode, so könnte man das erste Album von Frank Schültge Blumm in Zusammenarbeit mit der schwedischen Sängerin Ellinor Blixt alias Bobby Baby am treffendsten beschreiben. Ihr engelsgleicher Gesang liegt wie ein sehnsüchtiger Klangteppich auf den wunderbar verschrobenen Soundkonstrukten aus sanft gezupfter E-Gitarre, Rascheln und Rauschen, einer Spieluhr und aufhübschendem Klangwerk. Das erzeugte eine Stimmung wie zwischen Schlaf und Wach; ich hörte diese Platte vornehmlich, wenn ich in den frühen Morgenstunden von Parties zurück kam und in meinem Lieblingssessel am Fenster den Abend Revue passieren ließ und die aufgehende Sonne erwartete - bis heute ein unbeschreibliches Erlebnis, das ich immer noch dringend empfehlen kann.

Platz 54: Kings Of Convenience - Declaration Of Dependence (2009)

Nach zwei Alben mit The Whitest Boy Alive kehrte Erlend Oye zurück zu seinem musikalischen Partner Eirik Glambek Boe und den Kings Of Convenience, den Vorreitern des Quiet is the new loud und den bis heute einzigen veritablen Nachfolgern der unerreichten Simon & Garfunkel. Das dritte Album des Duos gönnte sich ein klein wenig mehr Sonne, „Mrs. Cold“ oder „Boat Behind“ luden zum Mitschnippen und -wippen ein, aber am besten waren die Kings Of Convenience nach wie vor, wenn sie der nordischen Kühle ihrer norwegischen Heimat mit wunderbar wärmenden Gesangsharmonien und tiefer, ehrlicher und dennoch Hoffnung spendender Traurigkeit Ausdruck verliehen, wie in dem fantastischen Opener „24-25“, der die Liebe zu diesen besonderen Künstlern schon nach Sekunden wieder entflammte. Ein neues Album ist in Arbeit, neun Jahre später - aber Gutes braucht eben Zeit.

Platz 53: Kiasmos - Kiasmos (2014)

Der große Olafur Arnalds ist als Künstler für Neoklassik- und Ambient-Sounds über jeden Zweifel erhaben; wie vielseitig der Isländer unterwegs war, zeigte sich dann mit dem ersten Longplayer seines zusammen mit Janus Rasmussen (Bloodgroup) gegründeten Minimal-Techno-Projekt Kiasmos. Arnalds steuerte analoge Instrumente bei und band ein Streichquartett ein, Rasmusson sorgte für die sanft treibenden Beats, aber bei aller Zurückgelehntheit, die „Kiasmos“ ausstrahlt, ist es ein sehr tanzbares Album geworden; Elektro-Pop ohne wirkliche Pop-Strukturen aufzuweisen, repetitive Strukturen, mäandernde Melodien, Tanzmusik für die eigenen vier Wände, das Auto (meinem bevorzugten Einsatzort) aber auch den Dancefloor und die Festivalbühne; der Haldern-Auftritt von 2015, auf dem Nils Frahm dem Duo einen Synthesizer kaputt schmiss, bleibt in seiner Herrlichkeit immer in meinem Kopf.

Platz 52: Get Well Soon - The Scarlet Beast O' Seven Heads (2012)

Jedes Album von Get Well Soon trägt ein anderes Thema und einen anderen Sound in sich, die tiefdunkle Stimme Konstantin Groppers und die bombastische Herrlichkeit der Arrangements als verbindendes Element. Auf dem dritten Longplayer „The Scarlet Beast O’Seven Heads“ dekonstruierte Gropper den Untergang der Welt mithilfe der Epik und Dramatik des italienischen Kinos der 50er und 60er Jahre. Da wird Katastrophenfilm-Spezialist Roland Emmerich ein kleines Denkmal gebaut („Roland, I Feel You“), der Größenwahn des römischen Reichs bis zu dessen Fall rekapituliert („The Last Days Of Rome“) und das Ende allen Seins überprüft („Let Me Check My Mayan Calendar“). Dazwischen gibt es Operetten-Pop („Just Like Henry Darger“) und in „Disney“ ein Stück, das von alt-ostdeutscher Trimm-dich-Musik untermalt wird. Ein großes Faszinosum, diese Platte, ein Beweis für Groppers Alleinstellungsmerkmal in der deutschen Musiklandschaft.

Platz 51: The Districts - A Flourish & A Spoil (2015)

Endlich mal wieder Indierock mit grandioser Strahlkraft, wunderbar einprägsamen Songs und produktionstechnischem Understatement wie aus der Garage. Bang, Bang, Rock’n’Roll! The Districts legten ein durch und durch fantastisches Debüt vor, das von einer ungeheuren Energie getragen wurde - euphorisch-exhaltierten Gesang, beeindruckende Live-Performances, drückenden Drive und gekonnt eingestreute, Grenzen überschreitende Genre-Verweise auf Americana und Folk inklusive. Allein die ersten drei Stücke der Platte holen dich ab, fesseln dich an diese große Musik und bestechen durch ihre Vielseitigkeit - das tänzelnde „4th And Roebling“, das treibende „Peaches“ und das mit einem gigantischen Riff gesegnete „Chlorine“. Lo-Fi-Indie-Rock vom Allerfeinsten, ein riesiges Ausrufezeichen - von dieser Band könnte noch einiges kommen.

Platz 50: Bear's Den - Islands (2014)

Ein wahrhaftiger Folk-Pop-Traum, pure wärmende Schönheit, brillante Gesangsharmonien, dazu noch famose Songs: Bear’s Den machten mit ihrem Debüt „Islands“ so gar nichts falsch, sondern schossen Pfeile in die Herzen derer, denen Mumford & Sons zu trampelig war und Bon Iver zu sehr litt. Stücke wie „Isaac“, „Elysium“ der der Hit „Agape“ wirkten wunderbar ehrlich und aufrichtig, in ihrem Klagen zu keinem Zeitpunkt jämmerlich, sondern bodenständig und geerdet. Die Background-Chöre, das Banjo, die liebevoll gezupften Gitarren und die erhabene Atmosphäre machen „Islands“ trotz bekannten und bewährten Zutaten zu einem der ganz großen Folk-Debüts der letzten zehn Jahre, und es passte wie die Faust aufs Auge, dass ich diese in herrlicher Mehrstimmigkeit vorgetragenen Weisen zum ersten Mal beim Haldern Pop in einer Kirche sah.

Platz 49: The Hotelier - Home, Like Noplace Is There (2014)

Was für ein Opener: Wenn The Hotelier ihr „An Introduction To The Album“ anstimmen, schlägt das Herz ein bißchen stärker. Davon abgesehen, dass „Home Like Noplace Is There“ sowieso eine durch und durch starke Emo-Platte ist, das Eröffnungsstück fällt aus dem Rahmen, was gar nicht negativ zu verstehen ist - allein, es passt nicht ganz in den Guss, in dem auf den übrigen acht Stücken die Band um Christian Holden ihre Seele reinigt. Aber es macht schon Sinn, der Platte diese „Introduction“ voranzustellen, weil durch sie klar wird, welche Themen die Band hier umtreibt: „Just remember when you'd call me to come, take a deep breath, and then jump. So fragile are bodies, so concave, work in self-destructive ways“. Ganz schön schwere Kost - und so euphorisch und kraftvoll dargeboten, dass es einem Gänsehaut macht.

Platz 48: Junip - Junip (2013)

Das Nachfolgealbum zum umjubelten „Fields“ geriet José Gonzalez, Elias Araya und Tobias Winterkorn alias Junip sogar noch besser, intensiver und einnehmender. Mit teilweise ziemlich spacigem, hypnotischem Folk hatte das Trio alle die brüskiert, die eine Fortsetzung von Gonzalez‘ Songwriter-Pop im Bandformat erwartet hatten und alle begeistert, deren Grenzen offen waren und die sich durch spannende, detailverliebte Musik überzeugen ließen. Für erstere Fraktion dürfte dann auch „Junip“ nichts gewesen sein, wenngleich die Platte ein kleines Stückchen mehr Pop war als ihr Vorgänger und sie mit „Line Of Fire“ einen ziemlichen Tränenzieher im Angebot hatte, der inzwischen auch Einzug in Gonzalez‘ Solo-Shows gefunden hat. Das Ganze ist sehr uplifting, faszinierend und ausdrucksstark - ein brillantes Folk-Meisterwerk.

Platz 47: Trip Fontaine - Dinosaurs In Rocketships (2008)

Ich erinnere mich an eine Autofahrt mit meinem Papa, der ein Freejazz-Spezialist ist und Musik, die ich hörte, immer zu simpel fand. Jeder durfte Platten mitbringen, wir waren lange unterwegs, und sie dem anderen vorspielen, und ich legte Trip Fontaine auf - er bezeichnete es als „schwere Kost“ und kam damit nicht wirklich klar, das war mir ein inneres Fest; nichts für ungut! Die Band, benannt nach dem Herzensbrecher auf Eugenides‘ „The Virgin Suicides“ ist ein Sammelsurium an guten Ideen aus Emo, Prog, Punk, Dance, Psychpop und Indierock mit schwindelerregenden Tempi-Wechseln und sperrigem Wirrwarr, ein Faszinosum, das in „Shine On You Lazy Liaison“ nur einen einzigen, dafür aber sehr guten (und leider sehr kurzen) Song im Single-Format anbietet - das können sie also auch, die Dudenhofener. Ein starkes Debüt mit hoher stilistischer Bandbreite und enormer Rafinesse.

Platz 46: Metronomy - The English Riviera (2011)

Eine Platte wie ein Strandspaziergang: Mit wunderbar entspanntem Pop, sommerlich leicht, mit einer Klangwelt, die sich aus Synthie-Flächen und Lounge-Percussions mit engelsgleichem Falsett speiste, spielte sich die Band um Joseph Mount in die Herzen ihrer Fans und vieler Neuankömmlinge. Die Songs waren über jeden Zweifel erhaben und mäanderten zwischen relaxtem Easy Listening und tanzbarem Kunstpop, wie die Vorzeige-Singles „The Look“ und natürlich „The Bay“ bewiesen; verträumte Basslinien, sexy Gitarren-Licks und einprägsame Melodien etablierten für Metronomy mit ihrem dritten Album einen ganz eigenen Standart, bevor sie sich mit „Love Letters“ einer Hommage an den Beat der 60er zuwandten. „The English Riviera“ ist ein konsequent durchdachtes Hit-Album mit unwiderstehlichem Flow und manchmal nahezu mondänem Touch.


Text: Kristof Beuthner