Fundgrube 31.08.2013

Neues aus der schönsten Küche Hamburgs

Vor kurzem dozierte ich ja an dieser Stelle ausführlich darüber, dass für das Erlebnis Konzert immer neue Einfälle her müssen. Dass es aber manchmal gar nicht schlecht ist, den Rückschritt zu wagen und sich auf das Ursprüngliche zu besinnen.

Nun gehört es in diese Zeit, dass selbst aus der Rückkehr ins Ursprüngliche ein Web-Hype gemacht wird. Voilà, die Steilvorlage auf intime unplugged- bzw. acoustic-Shows an Orten, die nicht viel Platz für großes Tamtam, geschweige denn für großes Publikum lassen. TV Noir, Balcony TV, die Cardinal Sessions - im einen wird ein Wohnzimmerkonzert simuliert, beim zweiten ist der Balkon die Bühne, die dritten ziehen Festival-Acts raus in die Natur. Dass das so gut funktioniert, spiegelt die Sehnsucht der wirklich echt deepen Musikhörer nach Reduktion eindrucksvoll wieder.

Und schon sind wir thematisch auch in Hamburg angekommen, und zwar in der Küche von Jens Pfeifer in Altona, der eines Tages die gute Idee hatte, seine Räumlichkeiten für etliche Künstler und intime Akustik-Gigs zur Verfügung zu stellen, die dann in Bild und Ton mitgeschnitten visuell bei Youtube und akustisch auf der "Hamburger Küchensessions"-CD-Reihe dargeboten werden. Da gab sich sehr schnell die deutsche Songwriter-Elite die Klinke in die Hand, Gisbert war da, Moritz war da, Wolfgang Müller auch, genauso wie Tom Liwa und Spaceman Spiff. Erweitert wurde das Oeuvre auch um den ein oder anderen internationalen Act, besonders hervor zu heben sind da natürlich die Schweden von Immanu El, die ja bekanntlich in Reduktion auch enorm gut funktionieren. Und dann gab es auch schon das erste Hamburger-Küchensessions-Festival, allerdings nicht in der Küche sondern im Übel & Gefährlich. Dieses Jahr geht es in Runde 2.

So lange die Qualität stimmt und die Leute wieder das bekommen, was sie möchten, nämlich Intimität, schöne Musik im kleinen Kreis und endlich mal wieder ein anfassbares Ambiente abseits von Werbebannern auf Giganto-Stages, muss man sich als Liebhaber nicht nur der akustischen Musik sondern auch der Zunft der Songwriter oder, zu deutsch, Liedermacher, freuen, dass Jens Pfeifer sich in diesem Genre als Trüffelschwein entpuppt. Denn hier wird eben nicht nur mit großen Namen jongliert, sondern auch ganz viel neues geboten und zu Tage geführt, was sich qualitativ keinesfalls hinter irgendwem zu verstecken hat.

Wer das bei Youtube nicht so eingehend und stringent verfolgt, für den gibt es nun eine erneute Bestandsaufnahme in Form des zweiten Samplers, "Hamburger Küchensessions Vol.2". Nicht mehr als Crowdfunding-Projekt sondern auf soliden Füßen, aber auch nicht mehr mit ganz so großen Namen wie auf Ausgabe 1 - das Konzept hat sich jetzt etabliert, jetzt darf man so richtig entdecken. Und zu entdecken gibt es wirklich eine ganze Menge.

Betrachten wir jedoch auch ganz kurz, wer so an größeren Namen vertreten ist. Da wäre Tim Neuhaus zu nennen, bei dem ich manchmal denke, dass ich ihn unterschätze. Akustisch geht seine Musik (hier: "Now") mehr unter die Haut, als auf den eingestöpselten Konzerten, die ich von ihm gesehen habe. Honig ist ja sowieso in aller Munde und heimst überall Lorbeeren ein, "In My Drunken Head" gehört sicherlich sowieso schon zu den besten Songs des letzten Jahres, da kann nichts verkehrt gehen. Ganz groß ist der Isländer Svavar Knutur, dessen "While The World Burns" schon auf seinem Album sehr leise und umso intensiver ist. Eher verzichtbar finde ich für gewöhnlich die Beiträge vom mittlerweile als TV-Comedian tätigen Olli Schulz, dem ich ob seiner ständigen Lustigkeit die ernsteren Töne nie so richtig abkaufen konnte und das jetzt noch weniger kann. Er darf CD 1 eröffnen und CD 2 beenden. Den meisten anderen wird das gefallen. Ach ja, und dann gibt's da natürlich noch Torpus & The Art Directors. Und deren "Fall In Love" ist wirklich ein Hit. Das kann man nicht oft genug hören, auch die akustische Version ist ein absoluter Gewinn.

Jeden Song, den ich vorher nicht kannte, einzeln durchzuarbeiten, würde den Rahmen definitiv sprengen. Sich nur auf die entdeckenswerten zu konzentrieren, auch, denn die Klasse ist durchweg riesig hoch. Aus 40 Songs die Highlights der Highlights herauspicken? Eine harte Aufgabe. Aber ich versuche es.

Da wären zum einen Staring Girl aus der Goldschmiede Omaha Records, die mittlerweile aufgrund von einigen bandinternen Schwierigkeiten hart um ihre Existenz kämpfen müssen. Doch ihr "Türgriff abgebrochen" ist eine so zwingende Zustandsbeschreibung über die tägliche Lethargie, dass man sofort ihr Album kaufen möchte. Hoffentlich kommen die wieder auf die Beine, so dass man noch viel von ihren zu hören bekommt. Definitiv hören wird man von Game Ove & Die Spielfiguren, die gerade sehr dringlich auf sich aufmerksam machen. "Winter, Sommer, Herbst und Scheisse" heißt ihr Beitrag, ist aber alles andere als jammervolles Wetterbeklagen. Oh, und den guten Neerström haben wir ja sowieso schon seit längerem auf dem Zettel - zurecht, wie er mit "Licht im August" wieder beweist. Große Klasse, der Herr.

Sehr schön gerät das Wiedersehen bzw. -hören mit den Bremern von Ich und mein Tiger, von denen ich schon lange keine neue Musik mehr vernommen habe. Ihr "Erdbeergrau" stammt noch von der letzten EP und ist schon etwas älter, aber das macht nichts. Zu spät, von ihrer Unmittelbarkeit - musikalisch wie emotional - eingenommen zu werden, ist es nie. Auch die Hamburger Estuar, deren Debüt "Felicium" vor fast vier Jahren ein kleines Highlight war, hat man schon fast aus den Augen verloren. Ihr "Tiny Moves" eröffnet die zweite CD ganz entzückend. Da darf auch gerne bald wieder mehr kommen.

Beinahe bekommt man das Gefühl, dass die englischsprachigen Songs der "Hamburger Küchensessions" die deutschen ein bißchen übertreffen (womit ich übrigens nicht das "Rolling In The Deep"-Cover vom Jon Flemming Olsen Acoustic Trio meine. Die eigenen Beiträge sind hier so klasse, dass es ein Cover eigentlich nicht gebraucht hätte). Klar, in die Befindlichkeitsfalle tappt man auch auf englisch, aber es fällt nicht ganz so schnell auf, weil es so gut klingt. Besonders bei "Pixies" von Anne Haight, viel mehr noch bei "Moonshine" von Amy Schmidt, das mich an die großen Country- und Folk-Sängerinnen der 1990er erinnert. Sehr amerikanisch klingt das, sehr schön und sehr innig. Der Leipziger Allround-Künstler Peter Piek weckt Erinnerungen an Joshua Radin, und Rob Coe mit seinem House Of Trees muss man sich ganz dringend auf die Liste schreiben. Das ist genau die Art Songwriter-Folk, von der man nicht genug kriegt, ganz gleich wie oft man diese Art Musik schon gehört hat. Gute Musik wird schließlich immer gute Musik bleiben.

Oh, das ist eigentlich ein ganz gutes Stichwort für ein Fazit. Das, was bei den "Hamburger Küchensessions" läuft, ist eine Herzenssache. Das sind Gefühle, die in Musik verpackt und rausgelassen werden müssen. Ja, mit Web-Hype, dafür aber ohne Hipstertolle und Röhrenjeans, ohne Konfetti und yeah. Pur und tief, unmittelbar und zupackend. Vor allem aber bedient es ein Gefühl, das der Hörer braucht: Dass da Bands und Künstler sind, die für ihn spielen und nicht für die Massen vor der (add sponsor here)-Bühne. Nicht für ein Millionenpublikum, für dich. In der Küche, die genauso gut deine sein könnte. Das muss gar nicht den Geschmack von allen treffen. Es reicht, wenn du es magst. Institutionen wie die "Hamburger Küchensessions" sind dieser Tage vielleicht wichtiger für die Musik, als sie es selber wissen.


Text: Kristof Beuthner