Rezensionen 29.07.2014

Land Observations - The Grand Tour [Mute / GoodToGo]

Ein Typ stöpselt die Gitarre ein und begibt sich auf eine historische Reise. Er zeichnet musikalisch Wege nach, er stellt Fragen, er mutmaßt, er ist traurig und neugierig und überwältigt. Er teilt uns das auch mit - non-verbal, denn er braucht dazu nur diese eine Gitarre.

Vor einigen Jahren erschien das Debüts "Roman Roads IV-XI" von James Brooks und seinem Projekt Land Observations, das sich mit Straßen der Eroberung, Unterwerfung und Kommunikation im Römischen Reich beschäftigte. Da ist mal der Projektname wirklich Programm. Und das ist in vielerlei Hinsicht interessant, denn hier wird sich ja nicht auf die Fahnen geschrieben, einen eigenen, persönlichen Leidensweg nachzustellen, sondern sozusagen geschichtlich inspirierte Musik zu präsentieren, bei der sich Tiefe und Tragweite und Bedeutung für das Jetzt nicht ad hoc erschließen. Nicht, dass das nicht spannend wäre, so als solches und grundsätzlich, und der von den belgischen Postrockern We Stood Like Kings vertonte Stummfilm "Berlin 1942" vom Frühjahr ist uns ja auch noch in sehr guter Erinnerung. Doch ist es auch hier emotionskompatibel? Kann man das auch gut finden, wenn man nicht gerade Hobbyhistoriker ist und bei der Lektüre über das Leben und Treiben der Bourgeoisie feuchte Augen bekommt?

Auf dem Zweitwerk "The Grand Tour" wird jedenfalls wieder ein geschichtliches Kapitel aufgeschlagen, und zwar das der Bildungsreisen europäischer Adliger und des Großbürgertums der vergangenen Jahrhunderte über die bayerischen Alpen; die Reiseroute führt uns von London über Nordfrankreich, die Schweiz und Wien bis nach Ravenna mit einem Abstecher nach Rom. James Brooks illustriert diese Reise mit seiner Gitarre, die gleichwohl sein Sprach- wie auch sein Musikinstrument ist, und er singt kein Wort, und er spricht auch keines. Und das ganze Hintergrundwissen über die Inspiration zu "The Grand Tour" ist von daher eigentlich eher eine Randnotiz, weil diese Musik für sich spricht und eigentlich durch ihre bloße Existenz und Suggestion alles sein kann für uns, die sich das anhören. Und natürlich dient das Album nicht dazu, uns auditiv Adelige in ihren Kutschen vorzuführen, die durch die Alpen fahren. Vielmehr malt das Album uns Bilder von der Wehmut des Zurücklassens, der seltsam diffusen Hoffnungsfreude mit Blick auf eine nicht allzu ferne Zukunft, der Betrachtung vorbeiziehenden Lebens. Also kurzum: Eine allzu gegenwärtige Gefühlslage, die wir alle kennen, von langen Reisen, von Umzügen, von Aufbrüchen in neue Lebensabschnitte.

Und somit sei auch die Frage beantwortet, ob diese Musik emotionskompatibel ist: Ja, das ist sie, und zwar sehr. Brooks spielt die Gitarre intensiv und erzählt mit repetitiven Mustern, warmem Timbre und mäandernden Linien, und man kann sich in dieser Musik vortrefflich verlieren. Viele große Gitarrenerzähler fallen mir da ein, die mir über die letzten Jahre und Monate tief im Gedächtnis geblieben sind, der Japaner Takeshi Nishimoto und der Portugiese Tó Trips zum Beispiel, und James Brooks spielt fraglos in ihrer Liga. "The Grand Tour" ist ein wunderschönes Stück zeitlose Musik, dessen Geschichte allzu präsent ist und das ein großer Soundtrack für sämtliches Kopfkino mit Blick aus Zug-, Auto- oder Flugzeugfenstern sein kann.


Text: Kristof Beuthner