Rezensionen 15.04.2016

Johannes Motschmann - Electric Fields [Neue Meister / Berlin Classics]

Das taufrische Label Neue Meister aus Berlin präsentiert mit Johannes Motschmanns „Electric Fields“ seinen zweiten Output: Eine glühende Hommage an eine Stadt und die Verschmelzung von Elektronik und Klassik der Berliner Schule.

Damit macht das Label direkt klar, dass es sich keinesfalls ausschließlich in schwelgerischem Schönklang, wie ihn Federico Albanese mit „The Blue Hour“ auf der Labelpremiere zelebrierte, ergehen möchte. Neoklassik im breit gefassten Sinne ist nicht nur ruhig fließende Pianoelegie mit dezent eingesetzten elektronischen Flächen, sondern lässt sich durch die immense Bandbreite der elektronisch erzeugbaren Musik im Zusammenspiel mit organischer Analogie eben noch viel weitreichender interpretieren. Das Tasteninstrument steht zwar auch bei Johannes Motschmann im Vordergrund, doch das alte Wurlitzer-Klavier ist nicht allein tragendes Element: Verstärkt um analoge Synthesizer, ein CP-70-Piano und ein großes Multipercussionset führt er in minutiös geplanter Feinstarbeit und in Trio-Besetzung nicht nur zwei der für die deutsche Musikszene bedeutsamsten Strömungen zusammen; er illustriert auch ein Berlin, das zwischen düster bedrängendem Großstadtdschungel und künstlerischer Inspirationsquelle besonders nachts so vieles darstellt. Womit klar sein dürfte: Die schönen, die ruhigen, die elegischen Momente gibt es selbstverständlich auf dieser nächtlichen Erkundungsreise (nennen wir das, wohin das Album uns mitnehmen möchte, doch einfach mal so) namens „Electric Fields“ auch, aber Motschmanns Betrachtungen finden nur selten wirklich Ruhe.

Berlin ist nun mal eine Stadt der Getriebenen, was im Idealfall zu einem nicht enden wollenden Fluss an Inspiration, Kreativität und Expression führt, sich aber genauso schnell in Rast- und Schlaflosigkeit zwischen all der Hektik, den gestrandeten Menschen und den flackernden Lichtern verlaufen kann. „Electric Fields“ fängt im Nachtflug all diese Eindrücke ein, legt pulsierende Synthie-Flächen über unruhige Percussion, mischt Ambient-Eleganz mit fein ziselierten Piano-Tupfern, dunkeltiefer Drone-Finsternis und avantgardistischer Tanzmusik mit monoton-technoiden Beats und wird dadurch zu einem faszinierend-flimmernden Hybrid, der treibt und zerrt, mal beengt, dann befreit. Erinnerungen werden wach an das Werk von Tangerine Dream, auch an das cineastisch-kompositorische Gesamtwerk Jean-Michel Jarres; Johannes Motschmann kennt seine Meister und beherrscht sein Metier. „Electric Fields“ evoziert einen berauschenden Wirrwarr an Gefühlen und Blickwinkeln und dürfte so musikalische wie lebensphilosophische Spurensucher gleichermaßen glücklich machen. Ein allumfassender Soundtrack einer immer noch auf seltsame Weise rätselhaften Stadt.


Text: Kristof Beuthner