Artikel 05.09.2015

Im Schlafanzug die Popwelt regieren. Schnipo Schranke im Interview.

"Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren." Ob Karl Lagerfeld Schnipo Schranke mag? Wohl eher nicht. Schnipo Schranke sind gewissermaßen das Gegenteil von Karl Lagerfeld. "Ich sehe ernsthaft nicht ein, morgens meinen Schlafanzug auszuziehen, wenn ich vor die Tür gehe.", sagte Fritzi Ernst kürzlich im Interview mit der Intro. Nun, um eine erfolgreiche Popmusikerin zu sein, muss man seinen Schlafanzug nicht ausziehen. Wenn sich eines als ehrlichstes Rezept der Branche bewähren sollte, wenn eines am Ende hoffentlich siegt, dann ist es Haltung.

Haltung kommt besonders gut im Schlafanzug daher. Im Schlafanzug ist der Mensch der Welt da draußen aufs Übelste ausgesetzt und lässt immer ein Stückchen Angriffsfläche frei, muss Haltung beweisen. Schlafanzüge und Jogginghosen sind Sinnbilder für Unangepasstheit und Müßiggang. Aus Unangepasstheit entsteht Neues, entsteht Außergewöhnliches, entstand in den vergangenen Jahren Schnipo Schranke.

Kontrolle wäre Gift für die Kunst von Daniela Reis und Fritzi Ernst. Sie schreiben die Musik zu den Hörspielen, die wir damals auf Kassette im Zeltlager aufgenommen haben. Manchmal peinlich, häufig albern, immer ehrlich. Nicht die Derbheit und Obszönität der Texte sind es, die uns besonders schockieren sollten. Zeilen wie "Du und ich für immer vereint. Oh Baby, küss mich da, wo die Sonne nie scheint" ("Intensiv") oder "Ich brauche Liebe, brauche Halt und einen, der mich knallt!" ("Pisse") sind selbstverständlich schonungslos und schmuddelig.

Die große Kunst von Schnipo Schranke aber ist der Wortwitz: "Ich küss dich tot, trotz offziellem Mordverbot" oder "Ich würd dich gern mal treffen, doch ich werf immer daneben" ("Tot"). Die Texte brechen dabei aus gewöhnlichen Rastern aus und machen Platz für eine neue, spontane Form des Songschreibens. Danach die Sintflut, danach ist alles erlaubt. Vulgarität ist dabei nur ein Stilmittel unter vielen. Das krachende Bewusstsein dafür, mit ihrer Musik der durchdeklinierten Popwelt eine Frischzellenkur zu verpassen, hat vor zwei Jahren auch Rocko Schamoni auf den Plan gerufen.

So schreibt Gereon Klug, Autor und Gründer der "Hanseplatte", zum jetzt schon legendären Treffen nach einer Lesung von Schamoni in Frankfurt: "Was sie denn für Musik machten, wollten wir von den beiden Biertrinkerinnen mit den harmlosen Gesichtern wissen. 'Natürlich Gangsta-Rap!' Aha, normal, klar, wir sind ja in Crackfurt. Und sonst so? 'Wir heißen Schnipo Schranke, studieren Blockflöte und haben kein Geld.' Dann wurde meiner schwachen Erinnerung nach stark mit Alkohol gearbeitet, eine gewisse Aggression und ungewisse Haltlosigkeit schwappte durch den Abend, aber die CD fand zum Glück den Weg ins Auto.“

Das Resultat der Lovestory von Schnipo Schranke mit den Granden der Hamburger Musikszene erschien vor zwei Tagen. "satt" ist der Name des Debütalbums, das – von Ted Gaier (Die Goldenen Zitronen) produziert – in bester Tradition der Lassie Singers und Christiane Rösinger steht, das man aber am liebsten keiner Schublade zuordnen möchte. Zwölf einfache Songs über Liebe, Verlassenwerden, Wut, Trotz, Trost und Hoffnung. Synthesizer und Melodien, die von vorne, von hinten und dann von der Seite heranrollen. Zwölf kreative Popsongs, die vollständig mit allen konventionellen Schemata der klassischen Musik brechen, deren Studium Daniela Reis und Fritzi Ernst zunächst in Frankfurt begonnen hatten.

"satt" ist musikalisch komplett auf Kante genäht und in seinen Arrangements weitaus fiddeliger als die Auftritte der Band. Das merkt man besonders bei "Pisse", das sich auf dem Album in Schnörkelsounds verliert, sich aber live viel zielstrebiger gibt. Stören tut das bei der unbändigen Kraft der Songs nicht weiter. Was heraussticht, ist der Mut zum Kontrollverlust. Alles auf eine Karte. Ja, Reis und Ernst, Jahrgang 1988 und 1989, werden die Popwelt in diesem September als König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte im Schlafanzug regieren. "Das ist die neue Schule. Das ist Schnipo Schranke. 'Ne Kurze und 'ne Kranke, zwei Peanuts, ein Gedanke."

Stilecht im Schlafanzug erschienen die Hamburgerinnen auch zum Interview mit Nillson während der Pop-Kultur Berlin. Nach Soundcheck und Arte-Aufzeichnung und vor ihrem Auftritt in der ausverkauften Kantine des Berghains haben sie mit uns über das Leben als Popstars, die Musikszene Hamburgs und den Schnipo-Masterplan für die nächsten Jahre gesprochen.

Wie geht’s euch?

Fritzi: Super. Heute ist ein sehr anstrengender, aufregender Tag. Wir mussten gerade für Arte unplugged spielen. Normalerweise sind wir bei Konzerten ja nicht sonderlich aufgeregt, aber bei solchen Geschichten irgendwie schon. So ganz alleine für sich zu spielen ohne Publikum, ohne Menschen, die auf das, was du machst, reagieren – das war auf jeden Fall ungewohnt. Wo soll man da nur die ganze Zeit hingucken?

Wir sind hier auf dem "Pop-Kultur" Festival. Was verbindet ihr mit dem Begriff "Popkultur"? Vielleicht habt ihr da schon ganz konkrete Assoziationen nach einer relativ kurzen Zeit in der Branche?

Daniela: Wir können das wirklich gar nicht genau sagen. Dadurch dass wir aus der klassischen Musik kommen, haben uns nie wirklich mit der Popwelt auseinandergesetzt. Klar haben wir Popmusik gehört, aber das ganze Grundwissen fehlt und das eignen wir uns jetzt erst nach und nach an. Erstmal sind wir froh, dass wir aufgenommen wurden und dass wir uns in diesen Kreisen bewegen können. Das ist schön und gefällt uns auf jeden Fall besser als das, was wir davor gemacht haben. Trotzdem kann ich nicht wirklich sagen, was Popkultur ist. Sagen kann ich nur, dass wir eine Popband sind, weil wir versuchen, uns für einen so großen Kreis wie möglich verständlich zu machen und nicht für eine Elite oder ein bestimmtes Genre zu spielen. Deshalb ist das, was wir machen, Popmusik.

Wie haltet ihr dabei die Waage zwischen starker Publikumsorientierung und dem Anspruch, euer eigenes, einzigartiges Ding zu machen?

Daniela: Unser eigener Geschmack und die Art von Musik, auf die wir Bock haben, trifft sich gut mit dem Bereich, in dem wir wirken wollen. Das ist einfach ein gutes Zusammenspiel. Wir versuchen ehrlich zu sein und damit automatisch die breite Masse zu catchen. Wichtig ist dabei natürlich, dass uns die Themen gefallen und dass wir uns nicht verbiegen müssen und etwas anderes darstellen, als wir eigentlich sind. Wenn Musiker versuchen, intelligente Texte zu schreiben, die am Ende keiner versteht oder in Songs mit Absicht schiefe Harmonien einbauen, nur damit etwas neu oder avantgardistisch ist, mögen wir das privat nicht und deshalb machen wir das auch als Band nicht.

Wenn ihr das letzte Jahr seit euerm kleinen Hit "Pisse" Revue passieren lasst, was waren da so die Höhepunkte?

Fritzi: Den einen Höhepunkt gab es nicht. Es war natürlich in erster Linie krass, dass wir 'nen Plattenvertrag bekommen haben und dass das auch wesentlich schneller ging, als wir jemals erwartet hätten. Die Studioarbeit war für uns richtig, richtig cool. Vorher haben wir fast ausschließlich live gespielt und es ist einfach toll, ein fertiges Produkt in der Hand zu halten.

Daniela: Es ist wirklich das erste Mal in unserem Leben, das wir ein Ergebnis in den Händen halten und sehen, was wir das ganze Jahr über geschafft haben.

Fritzi: Gar nicht mal nur für das Jahr, sondern eigentlich seitdem wir uns gegründet haben. Das ist das erste Mal, dass man wirklich ein handfestes Produkt hat.

Warum habt ihr euch entschieden, von Frankfurt nach Hamburg zu ziehen? Und warum hat es in Hamburg gleich geklappt und in Frankfurt noch nicht?

Fritzi: Wir hatten in Frankfurt auch schon ein paar Auftritte gespielt, aber schnell festgestellt, dass es einfach keine Szene für unsere Musik gibt. Es gibt keine Leute, die sich dafür interessieren, wenn plötzlich eine neue Band am Start ist. Das ist in Hamburg wirklich total extrem. Wenn die Leute hören "Es gibt eine neue Band.", ist es in Hamburg ganz normal, auf das Konzert zu gehen. Das passiert in Frankfurt nicht, warum auch immer. Den Bezug zu Hamburg hatten wir ohnehin schon über den Kontakt zu Rocko Schamoni. Der hat uns ja als erster entdeckt und gesagt, dass das geil ist, was wir machen. Wir wussten dadurch einfach schon, dass es Leute gibt, die uns in Hamburg gut finden. Das hat das Ankommen in Hamburg sehr einfach gemacht.

War das also mit das Wichtigste bei all den positiven Dingen, die sich ergeben haben? Unterstützer zu haben, die euch den Weg aufzeigen?

Daniela: Auf jeden Fall. Wir hätten auch gar nicht gewusst, zu welchem Plattenlabel wir in Frankfurt hätten gehen sollen. Wir wussten gar nicht, ob es da überhaupt welche gibt, außer im Techno-Bereich vielleicht. Es ist total wichtig, dass einer einem entgegenkommt und zeigt, was die nächsten Schritte sind. Das ist in Frankfurt nie passiert und in Hamburg ging es wirklich auf Anhieb recht schnell.

Welche Rolle spielt euer Label Buback dabei?

Daniela: Buback gibt uns an den richtigen Stellen genau die Freiräume, die wir brauchen. Wenn wir Ideen für ein Video haben, ist das selbstverständlich, dass wir das so machen. Auf die Idee, uns irgendwelche Vorschriften zu machen, würde Buback auch gar nicht kommen. 

Trifft das auch bei Marketingaspekten zu?

Daniela: Klar hat Buback da als Label eigene Ideen und Herangehensweise. Aber sie bekommen es immer hin, das auch für uns sinnvoll zu gestalten. Von daher gab es noch nie so etwas wie einen Crash. Wir haben das entweder immer selber gewollt oder eingesehen. Es geht immer Hand in Hand.

Was dürfen die Besucher auf eurer Tour erwarten?

Fritzi: Wir spielen natürlich die Songs des neuen Albums  Das Setting ist 'nen bisschen anders als bei Auftritten davor. Ente, der vorher schon ab und an Synthesizer gespielt hat, ist jetzt bei jedem Song dabei. Wir tauschen ganz viel durch. Es ist einfach nicht mehr so statisch, wie es vorher war. Dadurch, dass wir zu dritt sind, können wir uns ein bisschen befreien von unseren Instrumenten. Und dann schauen wir mal, ne?

Gerade die Startfinanzierung für ein gutes Projekt ist ja häufig für neue Bands, die sich unabhängigen Labels anschließen, schwierig. Wie steht ihr vor allem im Rahmen eines Festivals wie diesem zur staatlichen Popförderung?

Daniela: Wir haben für unsere Platte ja auch Gelder von der Stadt Hamburg bekommen. Am Anfang braucht man halt Geld, das nicht da ist und wenn da jemand aushilft, ist das vollkommen ok. Die Förderung, die wir jetzt haben, die hatte überhaupt keinen Einfluss auf das, was wir jetzt machen, gar keinen. Ich würde mir nicht sagen lassen "Mach dies, mach das, weil uns das gefällt.". Aber wenn die Stadt uns und das, was wir machen, gut findet und uns unterstützen möchte, dann nehmen wir das natürlich an.

Die schwindenden Einnahmen mit Tonträgern äußern sich bestimmt auch bei euch als Band. Welche "Strategie" wollt ihr da fahren? 

Daniela: Dass man mit Platten allein heutzutage kein Geld verdienen kann, das weiß ja jeder. Das ist ja ein altbekanntes Thema mittlerweile. Aber wir bestehen als Band zum Glück ja nicht nur aus Plattenproduktionen, es gibt ja noch die Auftritte und 'ne Tour und alles mögliche. Man sollte sich auf keinen Fall von den Plattenverkäufen abhängig machen lassen, weil das vermutlich nicht mehr funktioniert. Aber das wissen wir ja alles noch gar nicht.

Fritzi: Wir verkaufen einfach trotzdem extrem, extrem viele Platten, dann funktioniert das. 

Daniela: (lacht) Das versuchen wir natürlich. Aber unsere Platte kommt ja erst nächste Woche raus. (Anm.: Das Interview haben wir knapp eine Woche vor dem Release von "satt" geführt.) Ob die so gut ankommt, dass wir die Unkosten wieder reinbekommen? Da sagen wir dann im nächsten Jahr was zu.

Ist Schnipo Schranke in drei Jahren immer noch eine glückliche Band aus Hamburg? Was ist da so der Plan?

Fritzi: Man hangelt sich so von Schritt zu Schritt. Einen wirklichen Plan haben wir noch nie gehabt. Wir hören immer gut auf unseren Bauch und wissen gleichzeitig natürlich, wo wir hin wollen. Ziel ist es, möglichst viele Leute erreichen zu können und wir arbeiten Stück für Stück darauf hin.

Daniela: Uns ist es unheimlich wichtig, dass wir davon leben können und dass wir uns 'ne Existenzgrundlage schaffen mit der Band. Das klingt immer so blöd, aber das ist ein wichtiger Teil. Man will ja nicht in der Luft hängen. Und für mich ist es als Künstler wichtig, dass die Band sich so entwickelt, dass man auch in fünf Jahren noch seine Brötchen mit der Musik bezahlen kann.

Text und Interview: Daniel Deppe

Titelfoto, Foto 1,2: Jenny Schäfer, Schnipo Schranke

Foto 3: Roland Owsnitzki, Pop-Kultur

 




Wer die Haute Couture von Schnipo Schranke live erleben möchte, findet hier Informationen zu den Tourdaten und zum Vorverkauf.