Artikel 22.05.2018

Hope & Anchor & was es bedeutet: Nillson beim Orange Blossom Special 2018

Ein Ort, der uns mal herausnimmt: Das ist das Orange Blossom Special ja schon immer gewesen. Aber durch das Motto Hope & Anchor fahren wir dieses Jahr mit einem Gefühl nach Hause, das uns den Spirit dieses Jahr für Jahr unvergesslichen Pfingstwochenendes noch ein wenig vehementer im Alltag vertreten lassen muss. Aber lest selbst.

Hope & Anchor. Hoffnung & Anker. Es gibt wenig besseres, wenig auf ergreifendere Weise nutzvolles, das man dieser Welt in diesen Tagen schenken möchte. Verliert nicht die Hoffnung. Lasst mich euch ein Anker sein. Damit denkt das Orange Blossom Special gleich eine ganze Reihe nicht erst im vergangenen Jahr begonnene, aber seitdem sehr deutlich visualisierte Gedanken weiter in die richtige Richtung. Wir erinnern uns: Das desolate Einhorn als Mottotier. Zerrockt, zermürbt, verstoßen - aber noch nicht tot. Wankend, aber das letzte bißchen gerades Rückgrat, dass es vor Müdigkeit noch zustande bringt, heißt Haltung. Sich nicht von der wahnsinnig und immer wahnsinniger gewordenen Welt unterkriegen zu lassen. Die Faust gegen die Richtigen zu erheben, die Großen, die Machthaber und Schnösel, die Unmenschen und Unsäglichen.

Sich eine Insel zu schaffen, einen Ort, an dem jeder lieben kann, wen er will; an dem Herkunft keine Rolle spielt und Alter auch nicht; und die Musik ist der alles überstrahlende Schlüssel. Die magischen Momente vor einer Bühne sind Labsal, Zusammenheit und Zuhausigkeit. Das klingt wie in einem Märchen, zugegeben, und jedes Festival verbucht diesen Spirit für sich. Schon klar. Aber bitte, schaut doch mal: Der Kronleuchter strahlt so schön. Alle Freunde sind da, und die noch keine Freunde waren, werden es. Eine Utopie, aber eine herrliche. Und am See nebenan steht, von all dem berührt, aber zu still und stolz, um die Fassung zu verlieren: Der Graureiher. Das Mottotier 2018. Und er denkt: Alles richtig gemacht, hier und heute. Verliert nicht die Hoffnung. Lasst das hier euch ein Anker sein. Und so schließt sich der Kreis.

Man neigt bei diesem Festival ja leicht dazu, pathetisch zu werden, aber in Zeiten, in denen die Bösen immer lauter werden, Tierarten aussterben und Weltmächte mit Despoten an der Spitze im Streit die Weltkugel in Richtung Abgrund schieben, tut ein wenig Pathos gelegentlich ganz gut. Es ist logisch, dass wir Hoffnung brauchen, dass alles wieder gut wird. Dass wir uns dringend mal ein Wochenende lang hinsetzen müssen mit denen, die mit uns sind. Beim Kaltgetränk, am Grill und vor der Glitterhouse-Bühne, die zu Pfingsten 2018 ein Anker für uns ist, nach dem wir schon gelechzt haben wie ein Verdurstender nach Regenwasser.

Zwei Beispiele verdeutlichen das Besondere ganz gut, das dem Orange Blossom Special inne wohnt. Da wäre zum Einen unsere Ankunft am Freitag. Im Grunde kriechend, angeschlagen von den vergangenen Wochen. Arbeit bis unters Dach. Viel zu wenig Schlaf, dafür umso mehr Kaffee. So müde, aber mit Riesenpuls. Natürlich zu spät. Natürlich den Plänen wieder nicht entsprochen wie man wollte. Wir stellen den Wohnwagen auf unseren Parkplatz. Kurbeln die Stützen hoch. Haben wir Zeit für ein Ankomm-Getränk? Eigentlich nicht, aber was soll‘s, schnell die Stühle aufgebaut. Kaum sitzen wir, kommt auf einmal ein Hund. Er trottet auf uns zu, in beneidenswerter Seelenruhe. Holt sich seinen Kopfstreichler ab, legt die Pfote in meine Hand, dann dreht er sich kurz um sich selbst und legt sich vor meine Füße, den Kopf auf die Beine. So als wollte er sagen: Hömma. Das hier ist dein Anker, Bruder. Fabelhaft. You’re at home, Baby. Mach langsam. Alles ist gut. Und sofort, von einer Sekunde auf die andere, bin ich angekommen.

Dann, am Abend auf dem Gelände, treffe ich einen Freund. Ich hatte ihm in den letzten Jahren so viel vom Orange Blossom Special erzählt, dass er sich 2018 endlich ein Ticket gekauft hatte. Eigentlich waren es zwei gewesen, doch sein Mitfahrer hatte abgesagt, nun kam er ganz allein. Als wir uns sahen, fiel er mir direkt um den Hals. „Danke“, sagte er, „dass du mich damit nicht in Ruhe gelassen hast. Ich fühl mich wie zuhause. Hab‘ gestern schon auf dem Campingplatz mindestens zehn neue Leute kennen gelernt. Hier ist man echt nicht alleine! Und alle lieben die Musik so wie ich! Überhaupt, wie gut waren denn diese ersten Bands heute? Ich bin so glücklich, dass ich hergekommen bin!“ Zusammensein. Zuhausigkeit. Geborgenheit. Frieden. Musik. Eine Erfüllte Hoffnung. Das Orange Blossom Special als Anker. Was für ein Start ins Wochenende.

Es tut einfach gut, wieder hier zu sein. Das Weserbergland, die Berge, die Sonne. Die menschliche Wärme bei all den Umarmungen auf dem Weg über das Gelände, durch den Garten, hinter die Bühne. Ein paar bekannte Gesichter fehlen. Wir werden sie nächstes Jahr wiedersehen und schicken digital ein paar Bilder und warme Worte. Nächstes Jahr, ganz bestimmt. Die Hoffnung. Egal, wen wir treffen: Schön, dass ihr da seid. Hast du ne Minute? Erzähl mal, wie ist es dir ergangen? Was machen deine Kids in der Schule? Mach’s dir bequem! Auf unvergessliche drei Tage! Zuhause. Der Anker. Das ist mit nichts aufzuwiegen.

Speziell der Surprise Act, die mächtigen Kettcar, verkörpert die Botschaft von der Hoffnung und dem Anker wie keine zweite Band an diesem Wochenende. Den Anker symbolisieren sie, weil sie schon so lange bei uns sind, in unseren Herzen und Ohren. Die Hoffnung für die Welt oder wenigstens dieses derzeit so wirre Land in dem wir leben symbolisieren ihre Texte, nicht nur die vom neuen Album, das Kettcar plötzlich als politische Band in den Fokus der Wahrnehmung rückt, obwohl Markus Wiebusch und seine Jungs das immer schon waren. Bei der Wiebusch-Solo-Nummer „Der Tag wird kommen“, einem massiv-mitreißenden Manifest für die sexuelle Gleichheit im Profifußball, bewegen alle den Arm auf und nieder in einem gemeinsamen Rhythmus. „Sommer 89“ ist ein wuchtiger Aufruf zur Zivilcourage und Hilfe für die Schwachen, denn „Menschen durch Zäune zu helfen ist das mindeste, was wir tun können, und wem das zu viel Empathie ist - fuck off“.

Dass Markus Wiebusch dann feststellt, dass politische Ansagen vor Leuten, die ohnehin auf der guten Seite stehen, eigentlich obsolet sind, ist wahrhaftig - trotzdem muss es gesagt werden. Manchmal müssen wir auch diskutieren, um einmal mehr zu merken, dass wir noch im selben Rhythmus ticken. Die Hoffnung. Seite an Seite stehen die neuen Songs im Set neben Stücken wie alten Freunden, „Deiche“, „Balu“, „48 Stunden“, „Money Left To Burn“, „Im Taxi weinen“. Der Anker. Die Wahl dieses Surprise Acts hätte nicht passender sein können. In der strahlenden Sonntagssonne verschreiben wir uns Kettcar endgültig, lassen sie unser Kopf und Sprachrohr sein. Was für eine Ehre, hier dabei gewesen sein zu dürfen.

Für das Einreißen von Grenzen steht auch der Freitags-Headliner Casper. Der gehört stilistisch auf den ersten Blick eigentlich nicht aufs Orange Blossom Special und in diesen manchmal, wenn auch auf qualitativ hochwertige und ergo positive Weise, eingefahrenen Klangkosmos. Dass der Bielefelder Indierapper trotzdem geholt wurde, ist ein irre cleverer Coup von Rembert Stiewe und seinem Team, denn Casper reißt eine ungezeichnete Grenze ein. Weiß selbst, dass die Leute hier normalerweise etwas anderes hören und hören wollen. Hurricane-Casper, Rock am Ring-Casper, ja ja. Aber genau dieser Großfestival-Dauergast bittet beinahe schon demütig darum, seinem Sound trotzdem eine Chance zu geben, bevor er den Garten mit einer ungeheuer kraftvollen Performance einreißt. Das ist beeindruckend bescheiden und hochsympathisch.

Das Publikum zu beobachten, ist fast die reizvollere Sache in diesen knapp anderthalb Stunden. Die ersten zehn Reihen gehen total ab, hier stehen vornehmlich Jugendliche, und ab Reihe 11 weiß zunächst keiner im prallvollen Garten, was er machen soll mit dieser Musik, die nüchtern betrachtet knackiger Indierock ist, bei dem die Lyrics halt gesprochen werden und nicht gesungen. Aber die Menschen bleiben zusammen. Und Song für Song gehen mehr Arme hoch, bis am Ende die meisten dabei sind. Casper hat sie entgegen aller Unkenrufe verbunden, und Rembert bekommt die Belohnung dafür, es mal anders gemacht zu haben. Die häufigste Reaktion auf die Casper-Show, die wir von Leuten, die wir fragen, hören, wird am Ende sein: „Eigentlich ist es ja gar nicht mein Ding“. Gefolgt von einem mächtigen Aber: „Aber es war schon krass, dabei gewesen zu sein“. Die Hoffnung. Grenzen sind Schall und Rauch. Im Alltag wie in der Musik. Randnotiz: Korbach, der Casper-Gitarrist, war jahrelang wichtiger Teil im OBS-Staff. Heute wirkt es, als brächte er all seine Freunde mit heim. Der Anker. So schön.

Besonders zuhausig fühlen sich unter den Künstlern natürlich die, die zurück kommen und sich sofort wieder von diesem speziellen OBS-Gefühl vereinnahmen lassen. Boy Division und Schreng Schreng & La La spielen Samstag und Sonntag mal hier und mal da, machen das gesamte Areal nebst Campingplatz zu einer Bühne und trinken Papa Rembert sukzessive den Kühlschrank leer. Man muss die Heimkehr feiern, ist doch klar! Olli Schulz ist der Hausgast, der am meisten Quatsch macht; dessen Redeanteil dem zeitlichen Rahmen seiner Songs in etwa entspricht und der mit Konfetti-Kanonen alles vollschnipselt. Das sieht natürlich toll aus, und ich muss ein bisschen lachen, als ich in die Gesichter der Crew blicke, die das nachher alles auffegen müssen. Ja ja, wer Partys schmeißt, der muss auch aufräumen - goldene Gastgeberregel!

Scott Matthew, Glitterhouse-Resident und OBS-Wiedergänger, wirkt dieses Jahr wie der lustige Onkel mit dem traurigen Herzen: Zusammen mit einer tollen Band lacht und gackert der Australier wie aufgedreht und freut sich wie Bolle über sein wunderschönes Rotweinglas mit einem Gruß an eine gewisse Meghan Markle - „Tell me, Meghan, who’s the princess now?“. Aber dann singt er diese ungeheuer traurigen Songs mit dieser irrsinnig intensiven Stimme, und das Lachen bleibt uns im Halse stecken. Aber am Ende wird alles gut: Zu seinem Whitney Houston-Cover „I Wanna Dance With Somebody“ liegt sich der Garten in den Armen. Er wird schon jemanden finden. Die Hoffnung. Sie lebt.

Eine ganz besondere Orange Blossom-Familiengeschichte hat Frederik Rabe von den Giant Rooks zu erzählen, der durfte immerhin schon als kleiner Steppke mit Mama und Papa als Gast in den Glitterhouse-Garten. Nun spielt seine Band dort schon zum zweiten Mal, letztes Jahr standen die Giant Rooks noch auf der Mini-Bühne, dieses Jahr wirkt ihnen die Große nicht groß genug: Was für eine Show! Was für eine Power! Die Herzen fliegen diesen immer noch unglaublich jungen Jungs zu, die sich innerhalb eines Jahres irrsinnig gesteigert haben, noch tighter spielen, noch souveräner wirken - selbst wenn Frederik Rabe das Mikrofon aus der Hand fliegt. Die quälende Wartezeit auf den ersten Longplayer wird immer unerträglicher.

Ida Mae waren auch schon mal hier, da hießen sie aber noch Kill It Kid. Ihren Sound haben Stephanie Jean und Chris Turpin inwischen auf das Nötigste eingestampft; ihre Version von Blues & Grunge ist rauen, kargen Arrangements mit unwiderstehlichen Gesangsharmonien gewichen. Das hinterlässt am Samstagmittag ausschließlich begeisterte Gesichter. Und Birth Of Joy, die vor vier Jahren schon überwältigend waren und inzwischen Teil der Glitterhouse-Familie sind, reißen am Sonntag als vorletzte Band einfach nochmal alles ab und verwandeln das Publikum mit ihrem irren Mix aus Blues-, Stoner- und Space Rock in eine wild springende, jubelnde und crowdsurfende Masse. Richtig, richtig stark ist das.

Die großen Midnight Choir aus Norwegen haben beim Orange Blossom Special vor fünfzehn Jahren ihre letzte Show außerhalb ihres Heimatlandes gespielt, bevor sie sich auflösten - nun spielen sie am Sonntagabend die erste Show außerhalb Norwegens nach ihrer Reunion. Nach Hause kommt, was nach Hause gehört. Der Anker. Mit einer technisch unglaublich brillanten Show (vermutlich kam daher die viertelstündige Verspätung nach einem nicht enden wollenden Soundcheck) legen sie das OBS 2018 mit Glanz und Glorie, tiefer Melancholie und ungeheurer Grandezza für ein Jahr schlafen. Müde gespielt, Band wie Publikum.

Die, die zum ersten Mal hier sind, würden ein Abo für den Glitterhouse-Garten sicherlich blind unterschreiben. Man merkt es an der Dankbarkeit, die von der Bühne fällt wie feiner Regen. Dieses für das Orange Blossom Special so typische Zusammenspiel eines hingebungsvollen Publikums mit sorgsam ausgesuchten Künstlern macht die gemeinsam verbrachte Zeit so unvergesslich. Das wird der Holländer Tim Vantol, der das OBS 2018 mit unwiderstehlichem Folk-Punk in bester Frank Turner-Marnier eröffnet, mit Sicherheit jedem erzählen, dem er auf seinen zahlreichen Reisen begegnet, und er wird sagen: Eines Tages komme ich wieder nach Beverungen. Hope & Anchor.

Die Dawn Brothers spielen faszinierenden Americana, Me & Marie herrlich rauen Blues-Folk, Laura Carbone unterkühlt-düsteren Dark Rock und die Intergalactic Lovers facettenreichen Indiepop mit unwiderstehlicher Stimme. White Wine gewinnt jeden Schrägheits-Contest (aber auch nach jahrelangen Versuchen immer noch nicht mein volles Verständnis), Fortuna Ehrenfeld bieten ihre wunderbar verschrobenen Texte in Pyjama und Bärenpuschen auf der Mini-Bühne dar, die Blind Butchers schrotten ebenda die Discokugel mit einem Böller; Steiner & Madlaina machen Lust auf ihren ersten bei Glitterhouse erscheinenden Longplayer und Daily Thompson entfesseln ein Monster, das die Seele von Noise und Psychedelic gefressen hat. Sie alle eint das Gefühl für den guten Moment, den sie hier erleben, und das Wissen um seine Einzigartigkeit.

Und dann wären da noch die, die sich auf lange Sicht in unser Bewusstsein gespielt haben. Die Dänen von D/Troit zum Beispiel, die ein wahnsinnig intensives Soul-Konzert abliefern. Sänger Toke Bo Nisted lässt bei seiner mitreißenden Performance mächtig die Gesäßmuskeln spielen - da lässt sich auch Glitterhouse-Yannick zu einem beeindruckten „Irgendwie sexy!“ hinreißen. Der Sound der Band ist bläserschwanger und irre energetisch, die muss man sich ganz dringend merken. Das Konzert ist viel zu schnell vorbei.

Oder die Schweden von EF, die eigentlich für das OBS-Publikum schwere Kost sind, weil instrumentaler Postrock im Garten auch noch nicht ganz so gängig und geläufig ist; schon ihre Landsmänner von Immanu El wussten nicht jedem zu gefallen, und die singen sogar. Aber EF eröffnen bildgewaltige Klang-Epen, so versunken und versiert, dass man sich ihrem unwiderstehlichen Sog nicht entziehen kann. Sie bereiten kongenial auf den Casper-Auftritt am Abend des Aufbruchs vor, weil auch sie die Dinge anders gestalten, als man es hier gewohnt ist - und darum sind auch sie so wichtig sind für ein Festival, das sich bewegt und Zustände, die sich verändern.

Die holländischen Afterpartees haben in Niek Nellen einen Sänger, für den das Wort Rampensau neu definiert werden muss. Mit faszinierend kindlicher Freude tanzt, tobt und krakeelt dieses Jungchen über die Bühne, springt ins Publikum und unterhält sich mit begeisterten Zuschauern („I used to have a mohawk when I was young“), wirbelt das Mikrofon herum, kickt versehentlich seinen Schuh in die Crowd und performt in gepunkteten Socken, reißt sich am Ende das Shirt vom Leib und kugelt sich nach einem weiteren Tuchfühlungsgang mit der jubelnden Masse mit Rembert Stiewes freundlicher Hilfe über den Wellenbrecher. Dass man der Band nachsagt, zu ihrer Musik könne trefflich Bier verschüttet werden, ist perfekt getroffen: Irgendwo zwischen College Rock, Power- und Britpop und Hives-Selbstironie sorgen die Afterpartees für einen unvergesslichen OBS-Moment, der in der deutschen Version von „Call Out Your Name“, die dann „Schrei aus deinen Namen“ heißt, seinen Höhepunkt findet.

Und dann ist da noch der Kanadier Donovan Woods, der nach dem euphorischen Kettcar-Auftritt am Sonntagmittag die Leuten ein wenig zurück zum Innehalten und Schweigen bringt. Der massige, bärtige Typ sieht aus wie ein Trucker, klingt aber wie William Fitzsimmons mit einem gewissen Country-Flair. Seine zarte, innige Stimme will gar nicht zu seiner bärbeißigen Erscheinung passen; umso schöner wirken seine fragilen Songs wie „Burn That Bridge“, „Truck Full Of Money“ oder „Our Friend Bobby“ nach, die von Verlusten, Aufbruchsstimmung und Ankommen erzählen. Das erst kürzlich erschienene Album wird gekauft, es wird mich als Soundtrack am Montagmorgen wieder zurück in mein altes und kurzzeitig vergessenes Leben mit Alltag, Job und Heimespflege begleiten, das mir so fremd geworden ist an diesem unvergesslichen Pfingstwochenende.

Was folgt, ist der gewohnte Letdown, der Post-OBS-Blues, das Augenreiben und Aufwachen - noch während ich diese Zeilen schreibe, liegt ein seltsamer Film vor meinen Augen, in dem die Lämpchen des Kronleuchters reflektieren. Das waren wieder schöne Tage, genau so friedlich und geborgen will ich mich das ganze Jahr fühlen, ja, sollten sich alle das ganze Jahr fühlen.

Was wir mitnehmen können aus diesem Orange Blossom Special ist eine Haltung, die uns genau das ermöglicht. Wir haben sie schon vorher in uns getragen, sonst hätten wir dieses Wochenende nicht auf diese Weise zusammen genießen können. Wir können, daran besteht kein Zweifel, Hoffnung geben, den Schwachen, den Kleinen. Wir können uns täglich bemühen, Ungerechtigkeiten Einhalt zu gebieten; wir können ein Anker sein für die, die uns viel bedeuten. Sie zum Grillen einladen und ihnen Musik vorspielen, zum Beispiel von Donovan Woods, den Afterpartees oder Ida Mae, und wir können ihnen Geschichten erzählen vom Orange Blossom Special 2018 und uns die Dinge anhören, die sie so bewegen. Wir können unseren Teil tun, dass Menschen in unserer Nähe zur Ruhe kommen.

Dass wir Dinge zu sagen haben, die ihnen Hoffnung und Trost spenden - wer bitte möchte daran zweifeln, nachdem wir einträchtig Kettcar-Zeilen mitgesungen und ihre Worte zu unseren gemacht, Stilgrenzen neu ausgelotet und uns in Freundschaft und Zuneigung erst begeistert begrüßt und dann mit einem weinenden Auge verabschiedet haben? Wir wissen, wie man fühlt. Wir wissen doch, wie man Worte wählt, die anderen ein gutes Gefühl geben, und notfalls lassen wir eine Band für uns sprechen mit dem einen Song, der keine Fragen offen lässt. Wer, wenn nicht wir, soll wissen, wie Hoffnung und Anker bereichern?

Auch auf der Bühne und dahinter hat das OBS-Team uns diesen Spirit wieder vorgelebt. Eine Hand griff in die andere, alles wurde perfekt organisiert und jeder Plan wurde bis ins kleinste Detail liebevoll umgesetzt, egal zu welcher Tages- und Nachtzeit, egal wie müde oder verkatert man war. Nie gab es Zweifel daran, dass irgendjemand seinen Job hier gern macht. Jeder Einzelne von ihnen hat geholfen, dass wir uns beim Orange Blossom Special ein weiteres Mal zuhause fühlen durften. Dafür gebührt jedem Einzelnen Glitterhouseler großer Dank und noch größerer Respekt.

Das muss man sich mal vor Augen führen: Wenn alle 2500 Menschen, die an diesem Wochenende dieses besondere Gefühl von Zuhause, von Angenommensein und Wahrhaftigkeit empfunden haben, diese Wärme an jeweils zwei andere weiter geben können, und diese tun dann das Gleiche: Was könnten wir für eine Kette an Wohlgefühl auslösen, und wie sehr würde das dieser Welt auf die Sprünge helfen? Hope & Anchor: Das ist es, was diese Zeit braucht. So wichtig wie jetzt war es noch nie. Wie ein Bekenntnis legen wir uns gegenseitig eine Hand auf die Schulter, die andere hält das Pinneken Ouzo. Alles ist jetzt gerade gut, wie es ist. Die Hoffnung. Der Anker. So soll es bleiben.

Womöglich ist das maßlos übertrieben. Ein so kleines Festival soll so etwas können? Liebe und Frieden, Geborgenheit und Zuversicht nach draußen schicken? Die Wahrheit ist: Es wohnt in uns allen. Sonst wären wir nicht hier gewesen. Das Orange Blossom Special ist mehr als Musik. Wir nehmen dieses Gefühl mit nach Hause und geben es weiter.

Irgendwo und irgendwann muss es schließlich beginnen.


Text: Kristof Beuthner

Fotos: Kristof Beuthner und Christina Schoh