Rezensionen 10.05.2014

Her Name Is Calla - Navigator [Function / Cargo]

Bedrohen, bedrücken, berauschen, bedrängen, entzücken, erschrecken, berühren: Dass eine Band all das auf einmal schafft, ist selten und um so intensiver, wenn es gelingt. Die Briten Her Name Is Calla sind auf ihrem dritten Album in einen Zustand dringlichster Traurigkeit verfallen.

Traurigkeit darüber, dass sich nichts im Leben halten lässt. Dass man von einer Lebensphase in die nächste treibt, ohne sich von der jeweils vorherigen adäquat verabschieden zu können und ohne die Sicherheit zu haben, dass die kommende Glück und Zufriedenheit bringt. Dass die Jugend nur ein Hirngespinst ist und sich all die Träume, die man in sich trug als junger Mensch ohne Sorgen, nicht verwirklicht haben. Dass Liebe, Leben und Jugend nicht von Dauer sind und man irgendwann an den Punkt kommt, zu realisieren, wie sich alles verflüchtigt. "Navigator" heißt der dritte Longplayer der Band aus dem Denovali-Dunstkreis und der erste, den sie auf Function Records veröffentlichen. Seit dem Vorgänger "The Quiet Lamb" ist einige Zeit vergangen, in der die Bandmitglieder durch einige Lebenskrisen schlitterten, die nicht nur das Gefüge innerhalb der Gruppe, sondern auch das menschliche Durchhaltevermögen der einzelnen Mitglieder hart ins Wanken gebracht hatte: Scheidungen und Sterbefälle von Familienmitgliedern etwa, um nur zwei zu nennen. Dies zu verarbeiten, kann nicht in einem von Sonne durchfluteten Album enden. "Navigator" ist bis obenhin voll von Schmerz, von Unsicherheit und Düsternis. Gekleidet in vornehmlich vom Folk, aber immer wieder auch von dunkler Elektronik inspirierte Klanggewänder entleert das Quartett um Tom Morris seine Seele, und das sorgt für ein wahres Wechselbad an Gefühlen. Das eröffnende "I Was On The Back Of A Nightingale" präsentiert Morris als waidwunden Klager vor spärlichem Gitarrensound, das darauf folgende "The Roots Run Deep" eröffnet mit frickligen Beats und gespenstisch-halligen Vocals, und "It's Called 'Daisy'", das dritte (wenn auch sehr kurze) Stück der Platte, offeriert eigentlich ganz hübsches Klangwerk mit Glöckchen auf flächigem Ambient, bevor die Stimmung mit "Ragman Roll" dann endgültig kippt und diffuse Melodiebögen auf molligen Piano-Akkorden und bittersüß mehrstimmigen Gesang treffen. "Meridian Arc" präsentiert sich in drückendem Bombast, der beinahe schon an Get Well Soon erinnert, dessen triste Weltsicht von "Vexations" einem ohnehin häufig einfällt bei "Navigator", wenngleich seine lakonische Betrachtungen der Dinge sich bei Her Name Is Calla nie finden lassen. Das Titel- und zugleich Herzstück der Platte lässt die Seelenwelt der Briten dann endgültig in epischen, von Streichern und Chorälen getragenden Soundwänden einstürzen; im Grunde markiert die ganze Zweite Hälfte des Albums ein verzweifeltes Aufbäumen, eine Selbstrettung vor dem drohenden und im Grunde sicheren Ertrinken, wie es etwa 2005 auf dem seefahrerromantischen "Picaresque" der Decemberists nachfühlbar war, ohne dass Her Name Is Calla sich jemals bei deren Pop-Schmiss bedienen würden. Das Album entfaltet ohnehin einen großen Teil seiner Wirkung dadurch, dass es auch immer wieder in beinahe atonales Tönen verfällt, was es für den Hörer durchaus zu einer Herausforderung macht, sich darin fallen zu lassen.

"Navigator" ist ein Album, das tief dahin geht, wo es weh tut. Es ist betörend schön in all seiner Traurigkeit; vor allem wenn Sophie Green alleine singt, wirkt es als würde für Sekunden eine leuchtende Blume in einem schwarzen Wald sichtbar; das weckt Erinnerungen an die grandiose Meg Baird von den schmerzlich vermissten Espers. Die Welt versinkt im Schwarz - aber sie hat dazu einen Soundtrack geschrieben bekommen, der - hat man ihn sich erst erschlossen - tief berührt und der beim Verklingen des letzten Tones noch lange nachhallt.


Text: Kristof Beuthner