Artikel 08.08.2012

Gemütliche Größe, große Gemütlichkeit: Nillson bei Omas Teich 2012

Man hatte die Parole vor zwei Jahren ausgerufen in Großefehn: Hey, seht uns an! Wir sind soweit, den nächsten Schritt zu gehen! Schau her, Oma, deine Enkel sind erwachsen geworden! Tausende pilgerten zum Teich und befanden diese Aussage für wahr und gut. Nun, im Jahr 2012, sollte das Omas Teich Festival eine Messlatte legen, die für die Zukunft sehr schwer zu überbieten sein wird.

Wen haben sie nicht alles geholt in den letzten Jahren: Deichkind! Fettes Brot! Es fehlten eigentlich nur noch die Beatsteaks, seit Ewigkeiten der meistgewünschte Act in Fankreisen, um den Schritt vom kleinen, sympathischen Dorffestival im Herzen Ostfrieslands zum veritablen Event endgültig zu vollziehen. Denn seit die Teichler auf dem neuen Gelände wohnen, da haftet ihnen dieses böse Wort an, und seit die Bands immer größer werden und das Festival auch überregional immer bekannter wird, erklingt dieses Wort lauter und lauter: Event. Klein-Scheeßel.

Doch was passierte? Die Veranstalter nahmen allen Kritikern und Zweiflern mit Anlauf den Wind aus den Segeln und präsentierten nicht nur das qualitativ beste Lineup ihrer Geschichte, nein: mit Maximo Park und den Kaiser Chiefs spielten sowohl die bisher prominentesten als auch die am wenigsten auf Nummer-sicher-gehenden Gäste der letzten Jahre in Großefehn. Class Of 2005, ist da noch jemand mit uns? Nostalgie ging einher mit überragenden Live-Qualitäten, für den Airplay-Faktor im Lineup sollen bitte andere sorgen. Außerdem wurde eine dritte, eine winzig kleine Bühne, die sogenannte "Back to the Roots-Stage", installiert. Man vergisst nicht, wo man herkommt bei Omas Teich. Man weiß ganz genau, was die alten Fans sagen, die Ur-Teichler der ersten Stunde. Man ist sich im Klaren darüber, dass man für die Region eine riesige Menge Gutes tut, auch wenn man Gefahr läuft, die alten Gefährten darüber zu verprellen. Das möchte man nicht: man möchte sie alle im Boot haben. Und man überschlägt sich mit dieser Idee, dass es einem Respekt abverlangt als Gast.


Die Oma lud zum Teich ein - und es folgten ihrem Ruf so viele Enkel wie nie zuvor. Schon am Donnerstag hatte DJ Marco aus der befreundeten Disco "Limit" in Ihrhove, seit Jahr und Tag eng mit dem Festival verbandelt, den Campern eingeheizt; nun, am Freitag, sollte auch der andere, der Löwenanteil der Besucher nachrücken aufs sonnig-heiße Festivalgelände.

Die erste Band, die in den Fokus rückt, ist das tolle Young Rebel Set aus England, das mit einer absolut begeisternden Performance die hitzegeplagten Festivalbesucher in den Schatten und gute Musik versprechenden Bann der riesigen Main Stage zieht. Die Bühne wirkt in diesem Jahr noch monumentaler als in den Vorjahren, für Lacher und Fotos sorgt das falsch geschriebene "East Frisian Festival STLYE" auf den Seitenbannern. Es folgen die Amerikaner von Anti-Flag, die eine grundsolide Show mit viel politischem Unterton spielen. In den USA ecken sie damit sicherlich nach wie vor an; hier erfreut man sich am zackigen Punksound, das Konzert findet Zustimmung in der breiten Masse der Festivalbesucher.

Dann, mal auf die Zeltbühne geschaut und Teich-untypische Töne vernommen, als Get Well
Soon auf dem Plan steht. Es wird melancholisch und teils, wie bei dem sehr feierwütigen Publikum hier schon vermutet, schwerfällig. Nach kurzer Zeit haben diejenigen Fans, die auf einfach gestrickte Gute-Laune-Hymnen warten, das Weite gesucht. Konstantin Gropper quittiert dies mit einem sarkastisch-trotzigen "Dann geht doch!". Keine Sorge: uns hat's trotzdem gefallen. Für jene, die das Zelt fluchtartig verlassen, geht es im Anschluss auf der großen Bühne mit den Wombats weiter. Die wurden mit Erscheinen ihres Debüts frenetisch gefeiert, und sie rechtfertigen das immer noch. Sie tun das, was sie am besten können und zaubern mit einfachen Riffs und catchy Songs Lächeln auf die Gesichter der Fans.

Dann, der erste Headliner des Wochenendes: Hymnen über Hymnen bieten wie erwartet die Kaiser Chiefs. "Sie füllen Stadien", stand auf Omas Webseite - mittlerweile muss man schon fast "leider" sagen, denn die Show der Jungs aus Leeds wirkt auf den gestandenen Teichgänger ein wenig zu steif, routiniert und vorhersehbar. Ein paar Festivalgäste bringen mit ihren zu Steckenpferden umgebastelten Schwimmnudeln Frontmann Ricky Wilson aber kurzfristig aus dem Konzept, so dass er eine Bruchlandung auf dem Bühnenboden hinlegt. Die Show geht trotzdem professionall weiter, und am Ende besucht Wilson seinen Mischer im Tower und schaut sich das Konzert aus der Entfernung an. Die Fans danken es ihm, mitgesungen hat sowieso jeder. Dann darf sich zum Abschluss des Tages noch die dänische Kombo Veto dem Teichpublikum vorstellen. Dabei herrscht Uneinigkeit im Nillson-Team: Was machen die genau? Techno? Indie? Indietronic? Fakt ist: beim Gros der Besucher kommen sie mit ihrer Mischung aus treibenden Gitarren, wummernden Elektroparts und einer Stimme, die stets zu zerreißen droht, gut an.

Die Nacht bringt Regen, der bringt kühlere Temperaturen: Der Samstag zeigt sich kurzzzeitig bewölkt. Und wir besuchen die neue, dritte Bühne. War noch vor einigen Jahren als absolute Neuerung die Zeltbühne eingeführt worden, um kleineren, weniger massentauglichen Bands die Möglichkeit zur Präsentation zu bieten, wurde in diesem Jahr die "Back To The Roots-Stage" heiß erwartet. Hier sollten die Besucher zu den Anfängen von Omas Teich zurückgeführt werden. Die Bühne wird malerisch in die Landschaft neben einen kleinen Teich drapiert, der Eingang liegt allerdings ein wenig versteckt, so dass wir erst einmal suchen müssen. Staunend begutachten wir, dass die Bands hier auf einem LKW-Anhänger spielen - zurück zu den Wurzeln eben. Als erstes spielen hier die noch wenig bekannten This Void, die leider mit technischen Problemen zu kämpfen haben und erst mit einer Stunde Verspätung beginnen können. Trotz des recht dumpf abgemischten Gesangs ziehen die Jungs die rund einhundert Anwesenden in den Bann und ziehen sogar ausgemachte Metalheads auf ihre Seite. Wir haben es schon zuvor gesagt: Von dieser Band wird man noch hören!

Nachmittags ist wohl der Auftritt von Cro auf der Main Stage am heißesten erwartet. Man kann ihn durchaus als den diesjährigen Casper verstehen: von Musikmagazinen gehyped, nicht nur von rap-affinen Menschen durchaus geschätzt und mit einem unheimlichen Potenzial, den Teenies den Kopf zu verdrehen. Leider erfahren auch die vielen kreischenden Mädchen in der ersten Reihe nicht, wer sich hinter der Pandamaske verbirgt. Auf uns wirkt Cro überraschenderweise durchaus sympathisch; er sampelt die Kilians und Bloc Party und spricht von sich als dem schüchternen Typen von nebenan, der ohne seine Maske niemals Mädchen ansprechen würde. Vielleicht ist es dieses Understatement, was seinen Erfolg ausmacht. Wir sind definitiv zufrieden mit der Performance, das Publikum sowieso. Er räumt den Platz auf der Bühne für die Rocker von Smoke Blow, sein Publikum nimmt ebenfalls reißaus. Der Mix aus Alternative und Hardcore, Geschrammel und Geshoute ist definitiv nicht nach dem Gusto des Mainstreams, aber trotzdem irrsinnig intensiv. Als dem Gitarristen eine Saite reißt, stellen die beiden Frontmänner, Jack Letten und MC Straßenköter bissig fest, dass selbst diese Saite älter als Cro ist. Es ist ein Nachmittagshighlight, definitiv.

Und die Fans von leicht zugänglicher Festivalmusik haben auch anschließend im Zelt keine Freude, als Xavier Rudd, der vermutlich den Preis für die weiteste Anreise verliehen bekommen sollte, hinter seinem Gebilde aus Schlagzeug, Didgeridoos und allerlei Beiwerk loslegt. Dass der Mann wirklich was kann, zeigt er mit einer bunten Mischung aus ungefähr allen Musikrichtungen der Welt. Das ist nicht jedermanns Sache, merkbar - wir finden es überaus faszinierend. Es folgt dafür leider eine große Enttäuschung, denn auf Dendemann hatten wir uns gefreut. Als er dann erscheint, hat er zwar eine solide Liveband dabei, unsere Gunst fängt er sich aber nicht. Sein Auftritt wirkt standartisiert, Ansagen ans Publikum auswendig gelernt und aufgesagt. Wir machen lieber noch einen Ausflug in die Elektronik. Als Bodi Bill die Zeltbühne betreten, tanzt die Menge. Allein das mittlerweile weitbekannte Federkleid aus Einweghandschuhen, das sich die drei abwechselnd überwerfen, um damit über die Bühne zu tänzeln, lässt uns - im Zusammenspiel mit der nach wie vor sehr intensiven Videowall - wissen: Das ist Kunst. Und das gefällt uns.

Unterdessen bereiten sich auf der Hauptbühne Maximo Park darauf vor, ihrem Status als zweitem Headliner gerecht zu werden. Man spürt: Von einem Auftritt der Herren an dieser Stelle haben die Teichrocker seit Jahren geträumt. Nun ist es soweit. Und die Band aus Newcastle hält, was ihr großer Name verspricht. Ab dem ersten Ton gibt sie alles, bietet eine wunderbare Setlist mit abwechselnd alten und neuen Songs und überbringt uns die Neuigkeit, dass Drummer Tom English fehlt, weil er kurz zuvor Vater geworden ist. Der Menge gefällt das; man kann kaum die Vocals von Paul Smith verstehen, weil hier so ziemlich jeder alles mitsingen kann. Doch noch ist nicht Schluss: Im Zelt geht es mit den Blood Red Shoes weiter. Laura Mary Carter und Steven Ansell an Gitarre und Schlagzeug - übrigens fotogen wie eh und je - lassen das Zelt ein letztes Mal kochen. Und bereiten die Menge auf ein letztes großes Highlight vor: Digitalism, die den traditionell bombastischen Samstagsabschluss am Teich übernehmen dürfen. Das gelingt ihnen auch, ihre Beats finden großen Anklang, ihre Lichtshow ist beeindruckend. Mit "Pogo" beenden sie ihre Show und schicken den Großteil von Omas Enkeln hochzufrieden nach Hause. Uns eingeschlossen.

Und zusammen sind wir uns darüber im Klaren, wie großartig es ist, dass Omas Teich trotz der vielen großen Namen im Aufgebot, die man auch auf noch größeren Festivals zahlreich findet, und obwohl über 10000 Besuchern mit uns vor den Bühnen gestanden haben, ein wirklich familiäres Festival war. Dass man immer noch gemütlich Bands kucken kann, ohne von Bühne zu Bühne zu hetzen. Und dass man nach wie vor ganz vortrefflich seine Verschnaufpausen füllen kann, zum Beispiel mit einer Runde am Kicker an einem der Sponsorenstände.

Omas Teich ist ganz oben angekommen. Das ist uns schon länger klar gewesen, aber nach diesem Wochenende hat es wohl auch der letzte begriffen. Und man musste nicht mal am Teich zugegen sein - für alle Abwesenden hatte ZDF Kultur den Samstagabend ab 20:00 sogar live übertragen; noch eine Neuerung und ein Schritt nach vorne. Es wird deutlich: Wenn so groß aussieht, dann geht groß absolut in Ordnung. Dann kommen wir gerne wieder und sind auch 2013 dabei. Denn so viel steht fest: Ein Abstecher in die ostfriesische Provinz lohnt sich.


Text: Pia Klein und Tim Josten

Fotos: Pia Klein