Artikel 27.05.2015

Everybody's Whole Now. Nillson beim Orange Blossom Special 2015.

"Welt aus. OBS an." Das Motto für das nächste Jahr steht fest, schon früh, schon genau ein Jahr vorher. Komisch, dass da vorher niemand drauf gekommen ist. So allumfassend wahrhaftig sind diese vier Worte, dass man beinahe vergisst, dass das neunzehnte Orange Blossom Special unter dem Motto "Fabelhaft" stand. Es tut sich in der Sache ja auch nicht weh.

Welt aus. OBS an. Ich kenne eigentlich keinen, der Pfingsten nach Beverungen fährt und sich das nicht denkt. Da ist kein lapidar dahin gesagtes "Komm, wir machen mal wieder ein Wochenende Festival" in diesen zwei kleinen Sätzchen. Kein "Och, für irgendein Festival mussten wir uns ja entscheiden, und das OBS ist so schön nah dran". Und auch ein "Ach na ja, ist ja recht günstig, da kann man gut den ganzen Tag auf dem Campingplatz liegen und abends den Headliner kucken" habe ich noch nie von einem Glitterhousegartenfahrer gehört. Nein: Das ist fast ein kleines Manifest. Welt aus. OBS an.

Wer hier hin fährt, hat einen Entschluss gefasst. Musste er oder sie ja auch lange vorher getan haben, und wenn nicht aufgrund der eigenen guten Erfahrungen, dann durch freundliche Tipps von Menschen, auf die man sich gerne verlässt wenn es um Gutes geht. Die 2100 Karten sind ja in drei Stunden weg; langes Taktieren hilft nicht; wer einmal hier war, freut sich "wie Bolle" vor, um es mal mit Rembert Stiewe zu sagen, und gerechtfertigtes Urvertrauen in die Bandauswahl ist hier schon mit drin, das weiß man seit immer. Aber wer schon mal hier war, der weiß halt auch, dass das Orange Blossom Special nicht nur die Bands sind; dass selbst die Bands und Künstler sich diesen zwei kleinen Sätzchen nach dem ersten Rundgang übers Gelände - oder auch nur dem vorsichtigen ins-Publikum-Lugen über den Absperrzaun - verschreiben. Welt aus. OBS an. Fabelhaft.

Das Orange Blossom Special ist auch die Anreise durch die wunderschönen Kurven des Weserberglands; bei Sonne leuchten die Rapsfelder knallgelb und man möchte sich eigentlich auf die grünen Hänge legen und der Natur beim Sein zuschauen, darum fahre ich hier auch immer so langsam und will immer rechts ran, um wenigstens ein Foto zu machen; ich überlege und überlege und hinter mir hupen schon alle, aber mir doch egal, ich bin im Modus, Musik wartet, Welt aus, OBS an, das beginnt doch schon wenn man zuhause oder direkt von der Arbeit oder meinetwegen vom Urlaub aus losfährt, das verstehen die ganzen hupenden Drängler nicht.

Es ist auch Familie. Ja, im wörtlichen Sinne, Rembert Stiewes Sohn Yannick übernimmt seit Jahren die Produktionsleitung hinter der Bühne und der Papa ist stolz, und auch andere Familienbanden machen hinter der Bühne einen Riesenjob, aber es ist auch die Festival-Familie, die man sich selbst aussucht; die ein Wochenende im Jahr aus Menschen besteht, die in unglaublicher Union für eine magische Zeit sorgen, vor der Bühne, hinter der Bühne, auf der Bühne. Bei keinem Großfestival der Welt wird der Stage-Manager vor versammelter Mannschaft vom Scheff geherzt, nach dem Stand seiner persönlichen Schritt- und Kilometerzähler-App gefragt und für die unglaublichen 75 Kilometer auch aus dem letzten Winkel des Glitterhouse-Gartens völlig zurecht abgefeiert.

Oder das Mask.ottchen-Team, dessen übers Jahr in mühevoller Handarbeit gebastelten Devotionalien zum Festival für einen guten Zweck verkauft werden. Postkarten, Jutebeutel und Turnbeutel mit dem diesjäghrigen Wappentier, dem fliegenden Schwein; in diesem Jahr auch Schlüsselanhänger aus übrig gebliebenen Festivalbändchen, was besonders für die Leute Spaß macht, die mal ein Jahr aussetzen mussten aus Gründen, und die jetzt eine kleine Lücke geschlossen haben. Überhaupt, Wiederverwertung: Es durfte auch in diesem Jahr wieder aus alten Tetrapacks etwas tolles gebastelt werden, und das ist echt eine schöne Sache.

Das Orange Blossom Special ist auch Campen direkt an der Weser, sich am Morgen irgendwo ein Fahrrad leihen und diese ganze Schönheit der Gegend, von der ich eingangs schon sprach, "en velo" zu erkunden und dann nachts im Stadtkrug zu den stilsicheren Sounds vom Team Stag-o-lee zu shaken. Welt aus. OBS an. Ein blühender, kleiner Mikrokosmos von Freitagmittag bis Montagmorgen, wenn man mag.

Die Leute, die hier mitarbeiten, sind nicht anonym und in ihrer Menschlichkeit nicht austauschbar. Alte Praktikanten kommen wieder und helfen. Man kennt sich. Man trifft sich gern wieder. Man schätzt über die Maßen, mit welcher Energie hier jeder Einzelne im Team alles dafür tut, dass das Pfingstwochenende ein unvergessliches wird, vom Veranstalter über den Stagehand bis zum Caterer, den Mask.ottchen und all denen, die hinter der Bühne für Ordnung sorgen. Ich weiß nicht, ob Rembert Stiewe Arme hat, die groß genug sind, um alle zu drücken, die er drücken will in dieser Zeit. Da bleibt einem schon mal die Stimme weg.

Und dann sind da natürlich die zweitausendfünfhundert vor der Bühne. Ohren auf. Liebe an. Hingebungsvoll werden die Bands genau dahin gehoben, wo sie es verdient haben: Für ein Wochenende lang sind sie der Soundtrack zu diesem glückseligen Ausnahmezustand, die Begleitmusik für diesen alljährlichen Inseltrip. Wenn die Rede davon ist, dass das Lineup in diesem Jahr das beste in der neunzehnjährigen Festivalhistorie ist, dann ist da was dran. Vor der Kronleuchterbühne ist es deutlich voller und drängeliger als in den Jahren zuvor. Und die Publikumsbühne, auf der im letzten Jahr AnnenMayKantereit den Start in einen kaum fassbaren Sommer erlebten, bietet auch 2015 wieder viel, viel mehr als bloße Pausenbeschallung für eine Handvoll Unersättliche.

Na, dann sprechen wir doch über die Musik. Den Soundtrack. Das vielleicht bisher beste OBS-Lineup zum fabelhaften neunzehnten Geburtstag.

Die Feierlichkeiten werden von Easy October eröffnet, und, auch das hat leider Tradition, von uns bis auf den Abschlusssong aufgrund von intensiven Zeltbasteleien verpasst. Was schade ist, weil der Americana-Folk-Rock-Cocktail definitiv gut schmeckt. Wie auch der erdige Bluesrock von Little Hurricane, die eine dieser Bands sind, die in Duobesetzung ganz schön Alarm machen. Etliche Cover sind dabei, alles ist stilsicher, vor der Bühne ist es inzwischen rappelvoll. Nicht wenige haben wahrscheinlich schon letztes Jahr auf dem Haldern Pop in Bezug auf Money For Rope Blut geleckt. Auch hier: Energie. Rock. Abfahrt. Das macht wahnsinnig viel Laune. Es ist ein OBS-Auftakt nach Maß, zwischen Schwelgen und Extase ist schon beim ersten Trio alles dabei.

Und dann betreten die Helden des letzten Jahres die Bühne. AnnenMayKantereit haben seit ihrem fulminanten Publikumsbühnen-Auftritt im vergangenen Jahr eine Karriere hingelegt, die ihresgleichen sucht und die eigentlich kaum jemand so richtig glauben kann. Festivalshows überall, ausverkaufte Clubs, Touren mit den Beatsteaks und Clueso, und das alles ohne ein Label im Rücken. So sensationell diese Geschichte auch beim dritten Erzählen noch ist: Es schleicht sich doch die Frage ein, wie diese junge Band live funktioniert, wenn der Überraschungsmoment wegfällt. Letztes Jahr saßen die Leute beieinander auf den Schultern, um die Hälse zu recken, ungläubig staunend, wie eine so mörderisch whiskygetränkte Stimme von einem Jungspund wie Henning May stammen kann. Ein Coup, der ein ganzes Jahr lang immer wieder famos funktionierte. Dieses Mal drängeln sich die Leute bis fast zum Ende des Festivalgeländes, und bis auf wenige Ausnahmen singen sie jeden Song Zeile für Zeile mit. Doch die Band wischt jede noch so kleine Abnutzungsangst spielerisch weg. Erstens gibt es immer noch spürbar genügend Leute, die AnnenMayKantereit nicht kennen und die sich jetzt erst verwundert die Augen reiben. Zweitens sind die Jungs eine formidable Liveband, durchaus deutlich routinierter als letztes Jahr (was ja bei der Dichte an Auftritten auch kein Wunder ist), aber in keiner Hinsicht berechenbar oder abgezockt, sondern nach wie vor höchst charmant und naturbelassen. Und drittens haben sie so viel zu erzählen, dass es bei vielen anderen Bands für zwei Alben reichen würde. Außerdem: Die Hits, "Schon krass", "Wohin du gehst", "Oft gefragt" - die sind im Gepäck und werden bleiben. Ein tolles, ein bejubeltes Konzert, viel zu früh vorbei. Kein Wunder, dass die zwei Viertelstunden auf der Publikumsbühne an letztem Pfingsten niemandem reichen konnten.

Aber weil ein OBS-Tag ohne hingebungsvolles Lauschen kein fabelhafter OBS-Tag ist, ist der Freitag nicht vorbei ohne einen Ausflug auf die vielzitierte Publikumsbühne. Dort spielt heute Alice Phoebe Lou, dieses kleine Persönchen mit dieser unfassbar intensiven Stimme, zwei wundervolle kleine Sets, organisch, reduziert, bildschön. Reduktion ist nicht gerade die Sache von Musée Mécanique aus Portland, die den Freitag nach Hause bringen: Kunstvolle Gemälde aus epischem Folk, opulent instrumentierte, tieftraurige Weisen, die zutiefst faszinieren und betören hören wir hier; es ist genau diese Art von Musik, wie sie so geliebt wird an Orange Blossom-Abenden wenn die Sonne untergegangen ist und das Publikum zwischen Hingabe und Bewunderung den Atem anhält. Ein wunderbar intensiver Abschluss des ersten Festivaltages.

Intensiv geht es am Samstag weiter mit Jessica Larrabee und Andy LaPlant alias She Keeps Bees, deren leidenschaftlich erzählter Blues mit den herrlich stoischen Drums ein kleines Highlight ist. Das Selbstbewusstsein, dass das aktuelle Album "Eight Houses" ausstrahlt, findet sich live eins zu eins wieder. Die Leute sind wach, dürfen sich zu Huskys strahlendem Folkpop aber noch ein bißchen zusammenkuscheln. Die Sonne, die gestern noch so einladend schien, ist wolkigem Grau gewichen; da ist es nur gut, dass die Australier für sie mitleuchten. Ja, und dann bricht ein Donnerwetter über den Garten herein, exakt gesagt in Form der Dänen von Baby In Vain, an deren wild lärmendem Mix aus Noise und Grunge sich ein bißchen die Geister scheiden. Ich höre Menschen vom Highlight des Festivals sprechen; mich persönlich kriegt vor allem der sehr exaltierte Gesang nicht so recht zu packen.

Über den Auftritt von The Dead South aus dem kanadischen Saskatchewan gibt es derweil keine zwei Meinungen. Ihre Version von Bluegrass, Country und Folk ist vor allem wegen der einnehmenden Performance über jeden Zweifel erhaben. Langbärtig und -haarig, gekleidet in weiße Hemden und schwarze Hüte, erzählt das Quartett auf mitreißende Weise vom Suchen und Finden von Heimat und Glück und choreographiert das gerne auch mal, so dass das Zuschauen und -hören zum Ereignis wird. A propos Ereignis: Das können auch The Great Bertholinis, die übrigens OBS-Wiedergänger sind und auf dem aktuellen Album zwar schwelgerisch-getragenere Töne anschlagen als zuvor, live aber immer noch auf charmant-schwungvolle Weise die Quintessenz zwischen Folk, Americana, Balkan-Beat und, ja, Pop zelebrieren. Bläser und alles inklusive. Wirklich schön.

Anschließend mache ich eine Lücke zu. Kaum zu glauben, dass das mein erstes Konzert von Rocky Votolato sein soll, so umtriebig wie der Amerikaner auf den Bühnen dieser Welt unterwegs ist. Seine neueste Platte "Hospital Handshakes", die er auf Glitterhouse veröffentlichte, schlägt deutlich treibendere, vom Alternative-Pop der 90er inspiriertere Töne an, und das trifft voll meinen Nerv. Genau das ist die richtige Musik für den frühen Samstagabend, die Songs sind gut, die Melodien treffsicher, der Typ sympathisch. Und noch eine Lücke gibt es für mich zu schließen, denn auch East Cameron Folkcore begegne ich erstmals mit vor Staunen offenem Mund. Wenn mich auch die Musik der Texaner auf Platte bisher weitestgehend kalt ließ: Live entfesselt das eine mit Händen greifbare Energie. Die heute achtköpfige Band (live sind das auch sonst gerne mehr Mitglieder) klingt mit Cello, Banjo und allem, was dazu gehört über die Maßen strahlend brillant, dabei aber hochgiftig, weltverdrossen und sehnsüchtig zugleich und mischt dabei einen so hochprozentigen Cocktail aus Folk und Punk, dass man sofort betrunken ist. Und sprachlos ist man auch.

Und man bleibt es. Sivert Høyem betritt die Bühne zum Abschluss des Samstagabends, der Grandseigneur, der anno dazumal zum vierten Orange Blossom Special mit seiner Band Madrugada das erste Festivalkonzert außerhalb von Norwegens gespielt hatte und mittlerweile als solitärer Künstler große Beliebtheit vor allem in seiner Heimat erlangt hat. Es wird zutiefst melancholisch; nur sparsam lässt er seine Songs instrumentieren; hochemotional und fesselnd steht seine mächtige Stimme im Vordergrund und verströmt eine fast schon magische Aura. Mit seiner Zugabe, einem Cover von Bruce Springsteens "I'm On Fire", schließt sich für mich dann auch ganz persönlich ein Kreis: Bei meinem ersten OBS im Jahr 2009 hatte die wundervolle Marissa Nadler das Stück nachgespielt. Eine kleine OBS-Hymne für mich, vielleicht. Insgesamt: Groß.

Weil am Samstag auf der Publikumsbühne Cub & Wolf mit ihrem schön angekratzt-melancholischem Americana für Begeisterung sorgten und die Band zur Hälfte aus Mitgliedern von Golden Kanine besteht, hält sich lange hartnäckig das Gerücht, die Schweden würden mit ihren Bandkollegen den Surprise Act am Sonntagmorgen geben. Und so schön jeder einzelne Auftritt von Linus Lindvall und seiner Bande ist: Ich dusche lieber in Ruhe im Tennisclub und finde es sehr gut, im direkten Anschluss mit einer frisch kennengelernten, gleichgesinnten Fußballbekanntschaft den heute stattfindenden, alles entscheidenden Zweitligaspieltag vorzubesprechen.

Doch: Was ist das? Fünf Anrufe in Abwesenheit? Ich rufe zurück. Alter. Du musst kommen. Gisbert zu Knyphausen ist hier. Ich bin von den Socken. Packe meine Siebensachen, renne fast zum Festivalgelände zurück, und wahrhaftig, da steht er mit seiner Kid Kopphausen Band und singt diese wundervollen Songs. Und ich stehe davor, in der einen Hand das Duschgel und das nasse Handtuch in der anderen, den Kopf strubbelig aber das Herz in Aufruhr und genieße jede Sekunde. Nicht nur Gisbert, auch der 2012 viel zu früh verstorbene Nils Koppruch, mit dem er noch kurz zuvor Kid Kopphausen gegründet hatte, haben ihre eigene Orange Blossom-Historie. Gisbert zu Knyphausen selbst spielte hier einst sein erstes Festivalkonzert; Nils Koppruch hatte vorher schon mit seiner Band Fink den Garten zu Tränen gerührt. Dass dieser Gisbert nun dort oben steht und die gemeinsamen Songs singt, ist in jeder Hinsicht einer der erhabensten Momente in der Historie dieses kleinen Festivals; es ist zum Niederknien schön und zum Luftanhalten intensiv.

Dann kommen die Leoniden aus Kiel und machen aus jeder nachträglichen Andächtigkeit einen Haufen Schutt und Asche. Die Musik ist genauso schwer zu beschreiben wie der Auftritt dieser Jungs irgendwem nachvollziehbar zu erzählen ist. Ich müsste hier eigentlich ein Bild mit zwei Wirbelstürmen an Instrumenten einfügen. Da wird alles abgerissen, sich verrenkt, an der Bühne entlang geklettert; ständig fliegen Mikrofon- und Percussion-Ständer über die Bühne, ohne Punkt und Komma werden einem zappelige Songs um die Ohren gehauen, dass einem Hören und Sehen vergeht. Fast eine Viertelstunde zu früh ist das Ganze vorbei, aber es ist alles gesagt. Das muss jeder gehört und gesehen haben. Es ist gigantisch. Und ich bin platt.

Sea + Air, noch ein Glitterhouse-Neuling, kommen für mich zu schnell, ich habe den Kopf noch in den Wolken. Da kommt mir eher der feingeistige, beschwingt-poppige Folk der Charity Children gelegen, denn das ist herrlich harmonisch und energetisch und macht einfach Spaß, nicht nur auf der Haupt-, sondern später auch noch in zwei Umbaupausen auf der Publikumsbühne. Oder der tiefenentspannte, höchst stilvolle Westcoast-Knarz-Blues-Folk der Wood Brothers, der sich sehr angenehm in die Gehörgänge kratzt, und auch wenn das jetzt erstmal widersprüchlich klingt: Es funktioniert bestens. Doch die absolute Spitze des Wohlbefindens am Festivalabschlussnachmittags bilden Sea Wolf: Ohne Schlagzeug entfachen die Kalifornier ein in allen Farben leuchtendes wärmendes Feuer aus reduziertem Songwriter-Pop mit enorm viel Grandezza, und neben ihnen geht langsam die Sonne unter. Solche Momente musst du sonst malen.

Und nach dem Kill It Kid mit unfassbaren Stimmen (nur zu toppen durch den Duettgesang) und satten Riffs nochmal alle aufgeweckt haben, erweist sich der Abschluss des Festivals mit The Slow Show als großartiges Geschenk für alle, die da sind. Es herrscht eine zutiefst feierliche Stimmung; Rob Goodwins sonore Stimme und die getragenen, fast stoischen Melancholie-Manifeste streicheln noch einmal mit sanften Bläsern die Seele, und so viel Zuneigung, wie der Band aus Manchester entgegen schwappt, hatte Goodwin wohl selbst gar nicht erwartet. Immer wieder bedankt er sich, sichtlich gerührt, für die Aufmerksamkeit, und dann sorgt er für den innigsten Moment des Festivals, als er zur letzten Zugabe sein "God Only Knows" noch einmal zusammen mit dem Publikum anstimmt. Als 2500 Leute gemeinsam die Zeile "Everybody's whole now" immer und immer wieder singen, ist das fast wie ein Mantra und Festivalmagie in Reinform; es ist völlig klar, wofür all diese Leute hier sind und warum sie dieses Pfingstwochenende im Glitterhaus-Garten so lieben. Und zwischen den Zeilen schweben zwei kleine Sätzchen: Welt aus. OBS an. Jetzt, für diese letzten Minuten, noch einmal. "Everybody's whole now" - und wie.

Denn dann ist es vorbei. Dann ist das OBS aus, doch die Welt irgendwie noch nicht wieder an; sie ist mehr so wie ein Schatten, der da hinten wartet, und das Wochenende wirkt schon um viertel nach zwölf ein bißchen so wie eine Taschenlampe, die man immer wieder rütteln will, damit sie nicht verglüht und noch ein bißchen scheint. 2500 Menschen kehren teils nachts, teils am nächsten Vormittag zurück in ihr Leben abseits der Insel. Sie haben geschwelgt, gegrillt, gefachsimpelt, viel geraucht und viel geredet, gebastelt, gekauft, geliebt, gelebt. Verrückt. Immer wieder. Gibt es eigentlich schon Karten für nächstes Jahr?

Dass Rembert Stiewe das Motto fürs zwanzigste OBS schon verraten hat, täuscht nicht über die Tatsache hinweg, dass "Fabelhaft" ebenso allumfassend richtig war. Doch die herrliche Wirklichkeitsflucht, die Wochenenden wie diese implizieren, steckt in "Welt aus. OBS an" noch mehr. Ich höre diese beiden Sätzchen immer wieder an diesem Wochenende, lese sie im Nachhinein fast überall, in sozialen Netzwerken, unter SMS von Freunden, die das Erlebte noch einmal Revue passieren lassen. Das Gefühl wurde im Kern erwischt.

In dem, womit das Orange Blossom Special die Welt, in der es Dinge wie Abgespanntheit, Formatradios und böse Blicke gibt, ersetzt, existiert ein Gefühl von Freundschaft, Hingabe und Begeisterung. Und dazu werden uns Bands auf die Bühne gestellt, die uns Momente teilen lassen, an die wir uns noch in Jahren erinnern. Jahr für Jahr für Jahr aufs Neue.

Ist das nicht... fabelhaft?

 

 

Text und Fotos: Kristof Beuthner