Rezensionen 06.09.2018

Das Paradies - Goldene Zukunft [Grönland / Rough Trade]

Hinter einer der derzeit höchstgehandelten deutschsprachigen Bands steckt ein alter Bekannter: Florian Sievers sorgte jahrelang als eine Hälfte von Talking To Turtles für feingliedrig-slackerhaften Wohlfühlpop mit gehöriger Prise Melancholie. Sein Debüt auf Deutsch ist ein ähnlicher Feinschmecker-Pleaser.

Dass solche Musik in Deutschland überhaupt noch gebastelt wird: „Goldene Zukunft“ spielt in einer Liga mit Bands, die vor etwa 15 Jahren mitten hinein in Diskussionen um eine Deutschquote im Radio platzten und die Schwelle zur Popularität wegen ihrem zu großen intellektuellen Approach dann doch nicht recht übertreten konnten. Die poppige Leichtigkeit von Anajo, der sexy Funk von Tele, die klugen, poetischen Alltagsbetrachtungen von Wolke: Sie alle waren ein Vorschlag, deutsche Popmusik salonfähiger zu machen, und sie alle scheiterten daran - mal obwohl sie es gerne anders gehabt hätten, mal weil sie es nicht anders haben wollten. Viele dieser wohlschmeckenden Zutaten vereint Florian Sievers nun in seiner Band Das Paradies, die seit geraumer Zeit mit brillant getexteten Alltagsbeobachtungen, gebettet auf locker-leichtem Sommerpop, durchs Internet und das Vorprogramm von Granden wie Kettcar geistert. Man merkt an der Versiertheit, mit der dieses Album daher kommt, dass Florian Sievers ein alter Hase ist: Zwar hat der Sound von Das Paradies nicht viel mit seinen Talking To Turtles gemein, aber da sitzt jedes Gitarrenlick, jede Zeile, jeder sanft nach vorne treibende Beat, wie von einem, der sich nicht mehr ausprobieren muss; die Texte auf Deutsch sind das einzig wirklich neuartige Element im Oeuvre von Sievers, und das steht ihm ausgezeichnet. Den größten bleibenden Eindruck hinterlässt die Single „Discoscooter“, auf der Florian Sievers den Wahn der immer rasanter rotierenden Konsum- und Leistungsgesellschaft schön reflektiert: Nicht nur die Zeilen „Wir wohnen in Zentrifugen, zwischen Discoscootern, und draußen im Garten stehen die Schausteller, sie rauchen und warten, ob wir immer noch lachen wenn sie die Drehzahl erhöhen, ob wir dann immer noch winken und ihre flotten Sprüche verstehen“ brennen sich ein, sondern auch die Frage „sind das wirklich Windkraft- oder Erdantriebspropeller?“. In der Poesie des Paradieses finden sich viel Alltagsbewältigung und viel Ironie; angefangen mit der Zeile „Ich bin das schlimmste was euch passieren kann“ über den von A bis Z grandiosen Titeltrack und „Die Giraffe streckt sich“ („Ich rauche, rauche, rauche, […] keine Sucht, nur eine Weise auf die meine Zeit zerbricht“) bis hin zum Closer „Das Universum weiß es auch nicht“, noch so einem brillant dahinrelaxten Sonnenbrillensong, der nur cool aussieht, in Wirklichkeit aber den Kater zu verdecken sucht. „Goldene Zukunft“ ist ein kleiner Geniestreich in seiner seltsamen Wahrhaftigkeit, und wenn Florian Sievers auf seine Turtles keinen Bock mehr haben sollte - Das Paradies ist definitiv mehr als ein Plan B.


Text: Kristof Beuthner