Artikel 23.09.2012

Asphalt und Rotlicht - Nillson beim Reeperbahn Festival 2012

Musik und Kunst im milden Frühherbst. Bei Rotlicht und auf asphaltierten Straßen lockt ein ganz spezielles Festivalerlebnis in die so oft als "schönste Stadt der Welt" gelobte Hansestadt. Und so finden wir uns auch dieses Jahr irgendwo zwischen Bunker und St. Pauli Kirche wieder um den Ausklang der Festivalsaison würdig zu zelebrieren.

Unser Tag beginnt in einer unserer Lieblingslocations. Die Hasenschaukel, die uns eigentlich das ganze Jahr über mit konstant tollen Musikern versorgt, startet mit Me and Oceans in den Abend. Wie jedes Jahr zählt die Hasenschaukel zu eine der wenigen Locations, in der die Gäste auch ohne Eintrittsband reinkommen. Der Auftakt gefällt uns sehr. Nicht nur weil Sänger Fabian einen Großteil seiner Instrumente Namen gibt und diese auch dem Publikum nacheinander vorstellt, auch weil die tiefe Stimme in Kombination mit dezenten Synthies und der Komik zwischen den Liedern einfach nur kurzweilig ist.

Danach geht es für einen kleinen Abstecher auf den Hamburger Berg in die Pooca Bar. Da wo wir letztes Jahr von September Leaves verzaubert wurden, wartet jetzt Correatown auf uns. Die sympathische Angela Correa aus L.A. spielt ein sehr ruhiges Set, mit zurückhaltenden Drums und eingesungenen Harmonien aus der Loopmachine. Das Sie zwischen den Liedern laut eigenen Angaben viel zu viel redet stört eigentlich niemanden.

Der Abstecher war nur ein kurzer, da es uns anschließend wieder zurück in die Hasenschaukel zieht. Der skandinavische Singer-Songwriter Dad Rocks! beweist großes logistisches Talent, nachdem auch der letzter der insgesamt 5-köpfigen Band, inklusive Kontrabass, einen Platz auf der kleinen Bühne gefunden hat. Mit grandiosen Texten über "sexual frustration and social media" bis hin zu den Entscheidungen die man im Alltag so treffen muss: "founding a record label or apply at burger king". So geben sich tolle sprachliche Bilder im Minutentakt die Hand. Die überaus junge Band, die extra für den Tourabschluß anwesend war, macht dann alles perfekt. Da stehen wir nun in dieser winzigen Bar direkt vor 5 Menschen denen man ansieht, dass sie genau das machen was sie lieben. Und das hört man vom ersten Takt bis zur Zugabe inmitten des Publikums. Ein Festivalhighlight wurde selten so früh ausgemacht wie an diesem Abend.

Mit dem Bauch voller Endorphinen fliegen wir zur nächsten Location. Kakkmaddafakka sollen im Docks den ersten Abend für uns beenden. Die verrückten Norweger erweisen sich als würdige Headliner und lassen auch den größten Bewegungsmuffel mit dem Fuß wippen.

Am zweiten Tag beginnen wir bei einem dieser Slots, bei der die Schönheit der Location und die Vorfreude auf eine Band mindestens gleich hoch sind. Es spielen Moritz Krämer und Francesco Wilking als Die Höchste Eisenbahn im Imperial Theater. Bei intimer Atmosphäre und vor einer passenden Reeperbahn-Theater-Kulisse unterhalten uns die vier Berliner mit allem was sie haben. Die erste EP, die kurz vor der aktuellen Tour fertig geworden ist, lassen wir uns natürlich nicht entgehen.

Im Anschluss hauen uns die energiegeladenen Schotten von We Were Promised Jetpacks aus den Socken. Vor lauter Singer-Songwriter-Überschuss hatten wir ganz vergessen wie es klingt, wenn man den Distortion-Regler der E-Gitarre auf Anschlag dreht. Und vor allem wie gut das tut, als sich bei "It's Thunder and It's Lightning" die Spannung minutenlang aufbaut, um sich dann hochkonzentriert im Publikum zu entladen. Ein wahrer Gänsehaut-Moment.

Den krassen Gegenpol finden wir danach in den Fliegenden Bauten, wo wir uns ein Friska Viljor Acoustic-Set nicht entgehen lassen wollen. Die Band, die mal in der Wohlwillstraße direkt um die Ecke gewohnt hat, wurde extra für diesen Abend auf zwei Mitglieder und zwei Instrumente reduziert. Um so beeindruckender zu sehen, dass nach einem Konzertdrittel niemand mehr Lust hat auf seinem Stuhl sitzen zu bleiben.

"Save the best for last" dachten wir uns, also wir den Abend mit Wintersleep ausklingen lassen wollen. Auch wenn das Festival erst zwei Tage alt ist, ist dies schon die dritte Möglichkeit, die drei Kanadier im Rahmen des Reeperbahnfestivals live zu erleben. Nach einem Schaufenster-Konzert bei Michelle Records und einem Konzert im Hörsaal folgt jetzt das symbolische Finale im Knust. Und ein würdiges dazu. Die vier spielen ein ausgedehntes und lautes Set und lassen uns am Ende mit offenen Mündern zurück.

Etwas müde aber kein bisschen unmotiviert starten wir am letzten Tag mit Immanu El. Vor einer Woche hätte ich sie noch als Geheimtipp eingestuft, aber es scheint eher ein offenes Geheimnis zu sein, so oft wie mir diese Band in den letzten Tagen ans Herz gelegt wurde. Die 5 Jungs aus Schweden (die Kristof erst kürzlich für uns interviewt hat) bauen eine unvergleichlich schöne Soundkulisse auf und haben das, was mir bei vielen Postrock-Bands manchmal fehlt: wunderschönen Gesang. Untermalt mit den thematisch passenden Ozean-Visuals entpuppen sich die Jungs als echtes Festivalhighlight.

Wir schauen im Hörsaal vorbei, wo die Canadian Independent Association (CIMA) das zweite jährliche Canada House veranstaltet. Hier gibt es während des gesamten Festivals nur kanadische Musik auf die Ohren. Als wir zu Ben Caplan aufschlagen ist der Laden bis oben voll und es kommen nur noch Leute rein, wenn vorher andere raus gehen. Die tiefe und rauchige Stimme von dem Mann mit Bart und Gitarre überschüttet uns noch mal mit diesem tollen Kneipencharme, den wir die letzten Tage so lieb gewonnen haben.

Danach geht es auf einen Sprung ins Docks um kurz bei The Temper Trap vorbei zu schauen. Die Schlange vor dem Docks ist zum ersten Mal richtig lang und es stellt sich später raus, dass das schon dem Cro Konzert geschuldet ist, welches eigentlich erst in  zwei Stunden beginnt. Da die Hauptzielgruppe von Cro jedoch minderjährig ist und nach Null Uhr wohl nicht mehr in den Club dürfte, gehen die meisten wohl auf Nummer sicher, reservieren sich die guten Plätze und schauen Bands, die sich nicht kennen. Schade nur für die, die diese Bands gerne sehen wollen. 

Uns fehlt dort leider etwas Luft zum Atmen und wir nutzen die Zeit dann lieber noch bei Rockstah. Wer etwas mit Rapmusik im Nerdcontext anfangen kann, muss Rockstah einfach lieben. Ich weiß, dass das nicht jedem gefällt, aber in meinem Universum haben die pixeligen Texte über Gamerscore und Xbox durchaus eine Daseinsberechtigung.

Den Abschluss macht dann Olli Schulz in der Großen Freiheit 36. Ich gebe zu, dass ich auf musikalischer Ebene nicht der allergrößte Fan von "lustiger Musik" bin. Ich glaube das liegt irgendwie daran, dass man Lieder hunderte Male hören kann und sich die Eindrücke immer noch verändern, aber ein Witz funktioniert nur beim ersten Mal richtig gut. Olli findet aber einen wirklich guten Mittelweg. Er ist zwischen den Liedern wahnsinnig komisch und man möchte immer, dass er noch ein bisschen redet. Und wenn er dann singt, verschmilzt die Komik immer mit einer gewissen Prise Ernst. Wie dem auch sei, Olli braucht nur eine Gitarre und einen Barhocker und ist immernoch ein würdiger Headliner.

Mit einer Mischung aus Euphorie und Wehmut ergeben wir uns der Müdigkeit der letzten Tage und sind dankbar für den Sonntag der uns noch bleibt um die letzten Tage mit den vielen Eindrücken ein bisschen sacken zu lassen. Wir danken herzlichst dem Reeperbahn Festival.

Text und Fotos: Stefan Kracht