So ein bisschen war der Weg von The Slow Show ja schon vorgezeichnet. Die Band ist aus Manchester hat recht früh in ihrer Karriere im Vorprogramm von Elbow gespielt, gefeierte Tourneen in Großbritannien und Deutschland, der Plattenvertrag bei Haldern Pop Recordings. So ein bisschen war der Weg wirklich schon vorgezeichnet, aber es ist alles mehr als verdient. Wer die Band bei einem ihrer Konzerte auf der White Water Tour, in Haldern oder Beverungen, erleben durfte, weiß, dass The Slow Show längst aus dem Schatten ihrer "großen Brüder" von The National herausgetreten sind.
Es gab wohl keinen Besucher der White Water Tour, der sich nach dem Konzert nicht erstmal sammeln musste. Hier war tatsächlich eine Band auf der Bühne, die es schafft, eine neue epische Sound-Wand zu malen. Eine Band, die in der Lage ist, jeden Zuhörer im ersten Moment den Boden unter den Füßen wegzuziehen und im zweiten Moment die Gewissheit zu geben, dass am Ende immer alles gut wird. Das ist wohl die große Kunst einer Band: Dramaturgien zu schaffen, persönliche Geschichten zu erzählen und das Publikum bei all dem mitzunehmen. The Slow Show können genau das. The Slow Show sind Rob Goodwin (Gesang, Gitarre), Fred Kindt (Keyboards), Joel Byrne McCullough (Leadgitarre), Chris Hough (Schlagzeug) und James Longden (Bass).
Nillson hat Sänger Rob Goodwin vor dem Auftritt beim Orange Blossom Special Festival im Glitterhouse-Garten getroffen und mit ihm unter anderem über die Entwicklungen der letzten fünf Jahre seit Bandgründung, denkwürdige Auftritte und die besondere Beziehung der Band zum Publikum gesprochen.
Wie sehr hat es dich und die Band beeinflusst, aus Manchester zu kommen? Welche Rolle haben Bands wie The Stone Roses, Oasis oder I Am Kloot bei eurer musikalischen Entwicklung eingenommen?
Wir sind stolz aus Manchester zu sein und lieben die Stadt für ihre Geschichte und ihre Musik. Aber ich glaube nicht, dass wir musikalisch sonderlich von dem Ort beeinflusst wurden. Wir klingen vermutlich nicht besonders Mancunian. Obwohl wir Bands wie zum Beispiel The Smiths, Oasis, I Am Kloot oder Cherry Ghost mögen, hatten sie keinen großen Einfluss auf The Slow Show. Fred ist aus Belgien, Joel aus Irland. Wir sind also von ziemlich unterschiedlichen Seiten geprägt.
Ihr habt nach ein paar Gigs in Großbritannien ziemlich bald erste Shows in Deutschland gespielt. Ist es eurer Erfahrung nach hilfreich bei der Dichte der Szene in Manchester und England, sich als Band auf andere Märkte zu fokussieren und anschließend mit den Erfahrungen von "außen" wieder in die britische Szene zu drängen, wie es zum Beispiel auch Young Rebel Set gemacht haben?
Es ist vermutlich nicht der einfachste Weg, es auf diese Art und Weise anzugehen. Aber für uns fühlt es sich nach dem perfekten Weg an. Besonders die Gigs in Deutschland haben uns geholfen, unseren Weg als Band zu finden und uns viele Möglichkeiten eröffnet. Das wäre in Großbritannien nicht so einfach gewesen, es sei denn man hat direkt eine Radio-Single im Airplay. Wir hatten das Glück, ziemlich am Anfang unserer Karriere Elbow zu supporten und mit diesem Schub haben wir direkt die Chance bekommen, einen Monat in Europa zu touren, was gewissermaßen die Initialzündung für uns als Band war. Mit der Zeit fühlt sich Deutschland wie ein musikalisches Zuhause für uns an und wir kommen immer wieder gerne an Orte wie Köln, Hamburg und Haldern zurück.
Neben dem von Haldern Pop Recordings hattet ihr vermutlich noch einige andere Labelangebote. Weshalb habt ihr euch letztendlich für eine Zusammenarbeit mit Haldern Pop entschieden?
Haldern Pop hat uns ein wirklich sympathisches Angebot gemacht. Die Entscheidung bei Haldern zu unterschreiben haben wir unmittelbar nach dem Gespräch mit den Verantwortlichen dort getroffen. In Haldern gibt es eine unglaubliche Leidenschaft für die Musik auf allen Ebenen. Bei manchen Majors, mit denen wir zuvor in Großbritannien gesprochen hatten, war es eher als ob man eine Hypothek bei einer Bank aufnimmt. Die Gespräche mit Haldern haben sich im Gegensatz dazu nur um die Musik gedreht. Wir hatten das Gefühl, dass wir keine Kompromisse eingehen müssen. Das Label ist wirklich fantastisch und hält uns für unsere Musik den Rücken frei. Das ist in der Musikszene keine Selbstverständlichkeit, wenn man sich manch andere Plattenverträge anschaut.
Wo siehst du dich selbst und The Slow Show in drei oder vier Jahren? Habt ihr eine Art Masterplan?
Das ist eine gute Frage. Unser Ziel ist es auf jeden Fall, uns musikalisch weiterzuentwickeln. Die Hälfte der nächsten Platte haben wir bereits aufgenommen und möchten sie möglichst bald veröffentlichen. Im Moment sind wir sehr glücklich, wie sich die Dinge entwickeln. Je weiter die Sache voranschreitet, desto enthusiastischer werden wir, "große" Songs zu schreiben, zu denen die Leute auf Festivals tanzen können. Es gibt einige Songs, die unglaublich Spaß machen, sie zu spielen. "Bloodline" ist immer ein schöner, euphorischer Teil eines Konzerts. Ich glaube, wir möchten die Richtung, die wir mit Songs wie "Bloodline" eingeschlagen haben, weiter verfolgen. Unser Wunsch ist es aber, dass sich die Dinge auf eine natürliche Weise weiterentwickeln. Es gibt keinen Masterplan, sondern eher das Bedürfnis, einen bestimmten Weg zu verfolgen.
Speziell bei "Bloodline", aber auch bei einige anderen Songs von euch, habe ich das Gefühl, dass sich Traurigkeit und Euphorie auf eine sehr charakteristische Art und Weise vermischen. Glaubst du, dass Traurigkeit und diese seltsame Art von Euphorie Hand in Hand gehen - nach dem Motto „Every end can be a start"?
Es gibt diese Komponente in dem Song, definitiv. Er ist auf eine merkwürdige Weise erhebend. "Bloodline" fühlt sich für mich immer an, wie der Beginn einer Suche und wie etwas, mit dem du wirklich zu kämpfen hast. Und am Ende löst sich das Problem auf. Ich muss immer lächeln, wenn ich die Zeile "And this is the last time, the last time I'll call" singe. Zum Song hat mich eher eine traurige Stimmung inspiriert, aber diese Zeile mit einem Lächeln und mit Euphorie zu singen, das ist großartig. Als Songwriter und Sänger ist es wichtig, sich im Moment vor dem Song auf der Bühne wieder in die Stimmung zu versetzen, in der man war, als man den Song geschrieben hat. Am besten ist es aber, wenn das Publikum sich eigene Gedanken zu den Songtexten macht.
Mit dem Erfolg einer Band müssen mehr und mehr Verpflichtungen eingegangen werden, mehr und mehr Personen haben eine gewisse Erwartungshaltung. Wie bewahrt ihr euch als Band den Fokus auf die Musik und auf euer künstlerisches Schaffen?
Wir haben uns vor längerer Zeit entschieden, in Bezug auf unsere Musik keine Kompromisse einzugehen. Wir werden weiterhin die Songs schreiben, auf die wir stolz sind und die wir gerne spielen. Und ich glaube, dass das der beste Weg ist. Für uns als Band ist es wichtig, unterwegs zu sein. Immer, wenn wir auf Tour sind, sind wir sehr produktiv und schreiben viele Songs. Leute zu treffen und an Orte wie diesen zu kommen, ist der perfekte Stimulus für uns. Wir lieben die Tatsache, dass die Leute unsere Songs kennen und dass sie sich wirklich als Teil dessen fühlen. Durch diese Erfahrungen sind wir automatisch fokussiert auf das musikalische Schaffen.
Wenn ihr neue Songs schreibt, wann habt ihr das Gefühl: "Das ist die Endfassung ist und der Song ist fertiggestellt"?
Grundsätzlich stellen wir den Song im Studio fertig. Bevor wir ihn live spielen, nehmen wir ihn in jedem Fall auf. Also ist der Prozess schon dadurch vordefiniert. Manchmal ist es recht schwer zu sagen, wann ein Song keine Änderungen mehr benötigt. Es ist uns sehr wichtig, dass wir nicht in eine Art Routine verfallen. Routine hemmt das Wirken als Band und langweilt die Leute. Den Song dann live zu spielen ist ungefähr so wie "das Band zu durchschneiden". Das ist womöglich die Fertigstellung des Songs.
Wie kam es zur Entstehung des Songs "Dresden"? Was war für euch ausschlaggebend, den Song zu schreiben?
Dresden war die erste Stadt, in der wir in Europa gespielt haben. Die erste Nacht unserer Tour war in Dresden. Also fuhren wir von Manchester nach Dresden und ich erinnere mich, dass es ein wirklich beeindruckender Ort zum Ankommen in Deutschland war. Ich habe noch nie einen so dramatischen, theatralischen Ort gesehen. Die winkeligen Gebäude. Es sah aus wie in einer Filmkulisse. Und dann haben wir einen großartigen Gig gespielt und zum ersten Mal realisiert, dass die Leute unsere Songs kennen. Dresden ist definitiv ein sehr bedeutsamer Ort für uns als Band.
Eure Songs sind eher von persönlichen Erfahrungen geprägt. Wie definierst du Songwriting für dich? Woher ziehst du deine Inspiration?
Songwriting ist in meinen Augen eine sehr egoistische Sache. Es ist eine Sache, die du tust, wenn du dich nicht gut fühlst, wenn du etwas mit dir selbst abmachen willst, etwas einrenken willst. Das ist das erste, was ich in einer solchen Situation mache. Das erste, was ich immer gemacht habe. Ganz anders ist es, wenn du glücklich bist und die Dinge grandios laufen. Das bringt dich nicht unmittelbar dazu, eine Gitarre in die Hand zu nehmen und einen Song zu schreiben.
Letztes Jahr habe ich euren fantastischen Auftritt beim Reeperbahn Festival in Hamburg in der St. Pauli Kirche gesehen. Ich gehe normalerweise nicht allzu oft zu Konzerten in Kirchen, weil ich dazu tendiere, von der Bedeutung der Gebäude zu überwältigt zu sein. Bei euch habe ich aber eine Verbindung zwischen dem Ort und eurer Musik gesehen. Seid ihr in irgendeiner Weise religiös oder der Kirche verbunden?
Ich persönlich bin nicht allzu religiös. Aber aus musikalischer Perspektive war die St. Pauli Kirche ein wunderbarer Ort für einen Gig. Kirchen vergrößern alle Emotionen und es ist ein wirklich interessanter Platz für eine Band. Gerade, weil man durch die Schwierigkeit einen professionellen Sound zu bieten, neue Wege gehen muss. Uns ist das Konzert und der Abend in Hamburg aber auch noch aus einem anderen Grund im Gedächtnis geblieben: Es gibt eine limitierte Ausgabe unserer Vinyl, in der ein Bild enthalten ist, das eine Besucherin des Konzerts direkt im Anschluss mit Kaffee und Rotwein gemalt hat. Sie war von dem Konzert sehr bewegt und wir haben sie gefragt, ob wir das Bild verwenden dürfen.
Ist es für dich hilfreich, mit dem Publikum in Kontakt zu treten, um für dich selbst neue Perspektiven dadurch zu gewinnen, wie die Leute eure Songs erleben?
Auf jeden Fall. Es ist unglaublich berührend, wenn Leute sagen, dass ihnen unsere Songs aus dieser oder jener Situation geholfen haben. Ich glaube, daran werde ich mich niemals gewöhnen oder es als selbstverständlich annehmen. Wenn du einen Song schreibst, glaubst du nicht daran, dass die Leute ihn wirklich hören werden. Und manchmal macht es für dich selbst auch keinen Sinn. Aber wenn das Publikum dann ganz eigene Assoziationen mit den Songs verbindet… Das ist das wunderbare an Musik.
Interview: Daniel Deppe, Kristof Beuthner
Text: Daniel Deppe
Fotos 1 und 2: Percy Dean, The Slow Show
Foto 3: Screenshot aus dem Videoclip zu "Bloodline" unter der Regie von David Sutton & Gareth Birkett