Artikel 18.08.2015

"100 seeds are a leaf. 100 leaves are a tree." - Fabian Schuetze von A Forest im Interview.

Der Wald wächst. Arpen Sydel (Keys, Arrangements, Vocals), Fabian Schuetze (Keys, Produktion, Vocals) und Friedemann Pruß (Drums, Percussions) von A Forest haben ein außergewöhnliches Musikprojekt kreiert. "I Am A Forest" setzt auf die bedingungslose Einbindung der Community in die Produktionsprozesse und hat den Anspruch, die Verhältnisse in der Musikbranche zum Tanzen zu bringen: "Wir merken, wie sich viel zu viel um die Anzahl der verkauften Tonträger, das nächste Album, den nächsten großen Schritt, die nächste Single, die nächste unbezahlte Rechnung dreht." Neue Denkansätze provozieren und einen Weg zurück zur Musik finden, so das Credo.

Mit "I Am A Forest" stellen die Drei die scheinbar in Stein gemeißelten Regeln der Branche in Frage. Sie wollen Musik schaffen statt mit Musik zu handeln. Dem Zuhörer wird dabei eine wesentliche Rolle zuteil. Er wächst über seinen Status als Konsument hinaus und partizipiert direkt an der Entstehung der Musik. Indem er Tonspuren kommentiert, der Band Feedback gibt und sie ohne Umwege über große Konzerne wie Amazon unterstützt. Mit jedem Konzertbesuch, mit jedem Albumkauf, mit jedem Kommentar auf den Social-Media-Kanälen wächst der Wald. A Forest, eingebettet in das Leipziger Kollektiv und Label Analogsoul, unternimmt damit den Versuch, ein defektes System neu zu denken und mit großer Symbolkraft die Macht zurück zu denen zu bringen, die Musik möglich machen. Musikschaffende und Unterstützer gehen eine Symbiose ein, die den Majors beträchtlich den Wind aus den Segeln nehmen soll. 

Ein Jahr nach dem Album "Grace" veröffentlicht die Band Anfang September ihre gemeinsam mit der Community entwickelte neue EP "5 Fruits / The Kings Speech" (siehe Vorab-Stream und Video zu "5 Fruits" unten). Ähnlich wie das Mutterschiff Analogsoul, das sich mit einem Stamm aus Fotografen, Designern und Videomachern das Überschreiten von Genregrenzen zur Aufgabe gemacht hat, ist auch A Forest nur mühsam in Begriffe zu fassen. Synthesizer, Bläser-Sätze, Hip-Hop-Einflüsse, Beats und durchaus poppige Melodien prägen die aus zwei neuen Songs plus Remixen von Tilmann Jarmer und Klinke auf Cinch bestehende EP. Die Umrisse von Blättern, Bäumen und Wäldern werden skizziert und durch die markante Stimme von Fabian Schuetze ausgemalt. Tatsächlich zeigt A Forest mit der EP, dass ihr Ansatz, eine basisdemokratische Popmusik jenseits des Mainstreams zu schaffen, nicht nur auf dem Papier besteht. Was in vier Stücken ein kurzweiliges Hörvergnügen darstellt, hat Meinungsstärke und Storytelling-Potenzial. Der Sound ist unique, gestenreich und gleichzeitig angenehm eingängig. 


Wir haben uns mit Sänger Fabian Schuetze über die neue EP und die Story hinter der Band ausgetauscht. Außerdem haben wir den Leipziger, der gemeinsam mit Andreas Bischof Analogsoul leitet, zu seiner Einschätzung der aktuellen Entwicklungen in der Branche befragt und wollten wissen, welche Wege er mit dem Netzwerk in den nächsten Jahren bestreiten möchte.

Am 4.9. erscheint die neue EP "5 Fruits / The Kings Speech" deiner Band A Forest. Welchen Platz nehmen die EP und die anschließende Tour im Kosmos von A Forest ein?

Einen sehr exponierten. Die Tour findet genau ein Jahr nach dem Release vom aktuellen Album "Grace" statt. Dabei bespielen wir im Durchschnitt die größten Clubs bislang für uns. Die EP begleitet die Tour.

Könntest du etwas zu den Hintergründen und zur Entstehung der EP erzählen?

Den Song "The Kings Speech" spielen wir bereits seit längerem live und wir wussten, dass wir das Stück aufnehmen wollen. Dazu kam dann im Frühjahr die erste Skizze für "5 Fruits". Wir haben dann in einer Session das Schlagzeug in Berlin aufgenommen, die Zusammenarbeit mit Valery Gore (Anm.: Valery Gore ist eine kanadische Singer-Songwriterin, die Vocals zu "5 Fruits" beisteuerte.) lief über das Internet, der Rest ist in unserem eigenen kleinen Studio in Leipzig entstanden.

Neben den beiden neuen Songs sind zwei Remixe von Tilmann Jarmer bzw. Klinke auf Cinch auf der EP. Wie ist es für dich, die Remixe eurer Songs zum ersten Mal zu hören? Beeinflusst das in irgendeiner Weise eure Interpretation der Songs auf der Bühne?

Remixe das erste Mal zu hören, ist immer toll. Gerade, wenn man sich bei guten und alten Bekannten wie Klinke auf Cinch und Tilmann auf interessante Sachen freuen kann. Speziell die Remixe auf der EP gefallen uns außergewöhnlich gut und wir werden sicherlich Elemente davon auch live spielen und Sachen ausprobieren.


Was mir bei eurer Musik und insbesondere bei den Songs der neuen EP auffällt, ist die verwobene Struktur von Gesang/Text auf der einen und Instrumenten/Musik auf der anderen Seite. Mal korrespondieren die beiden Teile, mal führt das eine, mal das andere. Setzt ihr das Verhältnis zwischen den beiden Komponenten bewusst als Stilmittel ein?

Wir arbeiten immer bewusst mit einer Idee von einem Arrangement, viele Sachen passieren aber auch unterbewusst. Es ist eher so: "Man weiß für sich, dass jetzt an dieser Stelle der Synthie aufsteht und anfängt sich zu bewegen und die Vocals Platz machen müssen. Und im Zweifel auch mal für länger." Bewusst setzen wir das Verhältnis also nicht als Stilmittel ein. Das passiert eher im Prozess.

Du praktizierst mit Analogsoul, aber insbesondere mit A Forest, ein Vertriebsmodell des permanenten Crowdfundings und der Offenheit aller Produktionsprozesse für eure Zuhörer. "100 seeds are a leaf. 100 leaves are a tree." Ich könnte mir vorstellen, dass das für die Produktion von Musik ein Glücksfall ist, weil immer direkt sinnvolles Feedback gegeben wird und dadurch auch neue Inspiration entstehen kann. Gleichzeitig könnte diese Herangehensweise aber auch die Entscheidungsprozesse hemmen. Wie sind da eure Erfahrungen?


Das Projekt "I Am A Forest", das du erwähnst, hat uns viel mehr Feedback gebracht, als wir vorher vermutet hatten. Postkarten, Gespräche nach dem Konzert, Mails. Und man freut sich dann über jeden, dem das ernsthaft etwas bedeutet und der sich dafür interessiert. Ich sehe es also auf keinen Fall als Hemmnis. Wir haben uns komplett darauf eingestellt und sehen das immer als Bereicherung.

Wie fließen Live-Erlebnisse in eure Songs ein? Welche Rolle spielt das Touren bei A Forest?

Das Touren ist schon zentral, wenn auch natürlich manchmal strapaziös. Aber nur auf Konzerten kommen wir direkt mit den Leuten in Kontakt und können wirklich Connection herstellen. Das macht schon immer noch und vor allem immer wieder viel mehr Sinn als alle Social-Media-Plattformen dieser Welt. 


Analogsoul ist als unabhängiges, innovatives Label Vorreiter für neue Vertriebs-­ und Finanzierungsansätze von Musik. Die Entwicklungen im Hinblick auf Streaming und die Etablierung von für Musiker faire Vergütungsmodelle sind sehr sprunghaft und die nächsten Jahre nicht wirklich abzuschätzen. Welchen Weg wollt ihr mit Analogsoul gehen?

Ich sehe das Projekt Analogsoul in einem ständigen Prozess. Ich will immer offen für Neues sein und Entwicklungen im Musikbusiness, dem Markt, der Technik, der Kultur sollte man immer als Chance begreifen. Hinterfragen, Reflektieren und immer Projekte machen, die für alle Beteiligten Sinn machen. Das sind so die Ziele des Labels für die nächsten Jahre. Kollaboration mit anderen Labels und Partnern, die für einen ähnlichen Ansatz stehen, sind an der Stelle auch wichtig. Wir sind im Verband unabhängiger Musikunternehmen, aber leider gibt es noch keine echte Allianz der "kleinen Guten". Dennoch passieren auf der Ebene viele Sachen. Immer mehr Netzwerke connecten miteinander und es ist tatsächlich so, dass das Independent-Musikbusiness den Majors in Deutschland ein bisschen was entgegen setzen kann. Klar: Auf kleinem Niveau, aber zusehends besser.

Wie steht A Forest als Band zur staatlichen Popförderung à la Initiative Musik? Ich denke hier an den Weg, den z.B. auch Labels wie Staatsakt gehen. Kommt das für euch in Frage?

Natürlich kommt das in Frage. Wenn man bestimmte Sachen möchte, sowohl in der Produktion der Musik, also des Inhalts, als auch auf der Promo-Seite, dann landet man irgendwann beim Geld. Da hilft auch DIY und Bedroomproducing und das Internet nicht immer weiter. Und nur mit gutem Willen bekommt man auch keine großen Platzierungen in reichweitestarken Medien. Ich finde es sinnvoll, dass der Staat E-Musik (Opern, Orchester, Hochschulen) bezahlt und genauso sinnvoll finde ich Popförderung, da ein Release, der 25.000 Euro kostet, sich in den seltensten Fällen selbst tragen kann. Das ist immer querfinanziert mit Tourgagen, Merchverkäufen, Tantiemen. Und wenn dann die Initiative Musik etwas für die Produktionsbedingungen und somit auch für die Lebensbedingungen von selbstständigen Künstlern tut, dann ist das erst mal eine gute Sache.

Man kann euch als recht international beeinflusste Band beschreiben. Trotzdem seid ihr mit Analogsoul fest in Leipzig verankert. Wie geht für euch das Internationale mit dem Regionalen zusammen?

Think global, stay local. Leipzig ist Basis, Heimat. Das ist gerade wichtig zu wissen, wenn man weite Teile des Jahres unterwegs ist. Wir machen mit Analogsoul auch viel in der Stadt. Wir veranstalten Konzerte, schieben Initiativen an, wie jetzt zum Beispiel den Hashtag #ListentoLeipzig und die Seite für Leipziger Musik. Uns fällt oft was ein, von dem wir denken, das man das eigentlich mal machen müsste. Und meistens machen wir das dann auch. 


Wer A Forest im kommenden Herbst live erleben und Teil des Waldes werden möchte, hat dazu an folgenden Orten die Gelegenheit:

02.10.15 Rostock - Peter Weiss Haus (mit Petula & Klinke auf Cinch DJ Set)

07.10.15 Dresden - Scheune (mit Petula)

09.10.15 Leipzig - Täubchenthal (mit Me And My Drummer, Pentatones & Petula)

10.10.15 Görlitz - Kühlhaus (mit Me And My Drummer & Petula)

15.10.15 Augsburg - Bedroomdisco

16.10.15 Chemnitz - Atomino (mit Petula)

17.10.15 Hildesheim - Bischofsmühle (mit Petula)

21.10.15 Dortmund - Sissikingkong (mit Neupfundland)

22.10.15 Göttingen - Nörgelbuff (mit Petula)

23.10.15 Hamburg - Kleiner Donner (mit Petula)

25.10.15 Berlin - Badehaus Szimpla (mit Petula)

Weitere Informationen sind hier zu finden.


Text und Interview: Daniel Deppe
Fotos: Toni Propeller, A Forest